Reggae Express

Frank Naujok

von Frank Naujok

Story
2016 – 2020

Ich war immer ein Rocker. Ob nun der klassische Southern Rock, on nun progressiv und experimentell, ob Grunge , ob Nine Inch Nails oder Marilyn Manson – gib es mir hart, gib es mir laut, lass die Bratgitarre unter Trommelgedonner kreischen und wimmern.

Mit dem Ende meiner letzten Liebe hatte ich eine schwere Zeit. Kredite wollten bezahlt werden und meinen Kindern wollte ich keinen Unterhalt schuldig bleiben. In meinem kleinen Appartement wartete nur Einsamkeit auf mich, Urlaub oder Wochenende war eine Strafe und Krankheit war keine Option. Ich war im Kampfmodus. Augen zu und durch, so hieß das Motto. Einmal im Monat schlug das Geld auf dem Konto ein, um sogleich wieder in den Rechnungen zu verschwinden. Mir blieben im ersten Jahr nur 180 Euro im Monat von der Nudel bist zur Socke und davon investierte ich noch einen guten Teil in Marihuana.

Mit geschlossenen Augen kommt man nicht weit. Nach einem halben Jahr wurde mein Schlaf immer unruhiger und die Nächte immer kürzer. Ich ignorierte es. Weitermachen, aufstehen, kämpfen, arbeiten, arbeiten! Ich war wortwörtlich verbissen, mein Kiefer und meine Zähne schmerzten bereits. Mein Gesicht war so hart wie meine Gefühle und ich so aggressiv wie meine Musik, die aus meiner Kiste dröhnte, während ich die Pakete fuhr.

Über Tage konnte man eigentlich nicht mehr von Schlaf reden, es waren nur noch kurze Stunden der nächtlichen Ohnmacht. Aber ich fuhr weiter, bis ich nicht mehr konnte. Ich wollte ein Paket nehmen, mir wurde schwindlig und ich fiel um. Ich schaffte es noch, in das Depot zurückzufahren. Dort stieg ich einfach aus und lief nach Hause. Diagnose Burnout.

Vier Wochen lag ich im Bett. In den ersten Wochen hatte ich kaum die Kraft, um mich mit Essen zu versorgen. Ich dachte nicht viel, ich fühlte nicht viel, ich lag einfach nur da. Als es langsam besser wurde, begann ich wieder mit dem Lesen und Schreiben und entdeckte die wohltuende Kraft von Spaziergängen in der Natur. Laute oder aggressive Musik wurde unerträglich für mich.

So begann ein neues Leben für mich. Andere Themen gewannen an Bedeutung. Achtsamkeit, Bewusstsein und Spiritualität fanden einen Platz in meinem Leben. Ich brauchte einen neuen Soundtrack für meinen Lebensfilm und so fand ich zum Reggae. Die Musik hat eine gute Energie und einen Flow, der mich bewegt ohne zu stressen, zudem eine Menge positiver Botschaften in den Texten.

Der Reggae wurde zu einem wichtigen Element in meiner Psychohygiene. In meinen letzten zwei Jahren als Paketzusteller arbeitete ich eigentlich nicht mehr, ich spielte Arbeit. Morgens wachte ich mit den Vögeln auf, trank in Ruhe meinen Kaffee und dann fuhr der Reggae Express los. Bald war mein neuer Soundtrack in dem kleinen Städtchen, das ich jeden Tag belieferte, überall bekannt.

Deine Wahrnehmung bestimmt Deine Wahrheit und Wirklichkeit wirkt. Deine Gedanken bestimmen Deine Realität und Deine Gedanken kannst Du ändern. Ich bin dankbar für diese Erfahrung und heute gerne eine Rastaglatze.

© Frank Naujok 2020-05-24

Hashtags