von Maria Büchler
– Guten Abend, Helga! Hast du aber schwer zu schleppen! Gibt es in diesem Supermarkt so viele Aktionen, dass deine Tasche derart voll ist?
– Da staunst du, was? Ich hab‘ zugeschlagen! Mit der neuen App Too Good To Go gibt es super Schnäppchen!
– Auf Schnäppchen bin ich heiß! Darf ich es mir einmal ansehen? Boah, so viel Obst und Gemüse! Sogar Stangensellerie, Kipferl, Geschnetzeltes, Brot, ein Sack Nüsse. Was kostet denn das alles?
– Warte, ich zeig‘ es dir auf dem Handy. Schau her, nicht einmal vier Euro für die ganze Tüte!
– Was? Und ich dachte schon, du hättest heute Abend die ganze Stadt auf Besuch und deshalb deinen letzten Cent ausgeben müssen. Gibt es nur in diesem Laden solche Schätze?
– Wo denkst du hin? Fast jeder Supermarkt offeriert täglich einige Kistchen. Sogar der Hühnerhof bietet fallweise Eier an, die nicht ganz sauber sind, dazu Nudeln aus eigener Erzeugung und Milchprodukte, das Ganze um einen Spottpreis. Ebenso Konditoreien, Asia-Märkte und Restaurants. Am Abend davor beginnt das Rennen in der App. Ich sage dir, da musst du blitzschnell sein, um ein Sackerl zu ergattern. Dabei sind das Lebensmittel, die früher entsorgt wurden. Noch nicht mal abgelaufen, vielleicht die Verpackung ein wenig beschädigt, aber bereits nicht mehr verkäuflich.
– Du kaufst doch nicht etwa Abfall? Kommen denn da nicht eher mittellose Leute, die jeden Euro zweimal umdrehen müssen?
– Im Gegenteil, du würdest staunen! Da war ein sehr gut gekleidetes Paar, das einfach nur aus Neugier testen wollte. Hinterher standen sie bei ihrem SUV und kritisierten lautstark jeden einzelnen Artikel. „Das da ist in Ordnung, aber die Gurke ist zu weich. Die Brötchen haben zu viele Körner, der Salat ist latschert. Und von den vielen Bananen bekomme ich Verstopfung.“
Besonders aufgefallen ist mir ein sportlicher gutaussehender junger Mann mit einer aufgebrezelten Freundin, wie frisch der Vogue entstiegen. Der hat gleich die zweifache Portion bei Aldi abgeholt. Routiniert und mit Schwung lud er die beiden Kistchen in seinen schwarzen BMW und düste davon.
Gestern beobachtete ich eine Frau, die es offenbar wirklich nötig hatte, mit mehreren Kindern in einem alten Auto. Und weil ich mehr Brot erhalten hatte, als ich brauchte, fragte ich sie, ob sie meine Semmeln auch noch wolle. „Um Himmelswillen, ich habe schon viel zu viel Brot in der Tiefkühltruhe!“ Ein anderer ließ mich wissen: „Weißt du, den Salat hole ich für meine Hasen, das Brot trockne ich ebenfalls für sie.“ Über meine eigenen Reste freuen sich die Hühner meines Nachbarn ja auch.
– Krass! Man könnte meinen, denen geht es allein ums liebe Geld.
– Diesen Eindruck habe ich nicht. Den meisten ist wichtig, dass keine frischen Lebensmittel im Abfall landen.
– Ist dieses Abholen schwierig? Kann ich dabei sein, wenn du das nächste Mal wieder so reiche Beute machst?
Einige Tage später sah man kurz vor Ladenschluss zwei vergnügt lachende Damen beladen mit je einem übervollen Kistchen aus dem Supermarkt kommen.
© Maria Büchler 2023-04-01