Reichtum zwischen Tür und Angel

Annika Höller

von Annika Höller

Story
Mühlviertel

Zurück an den Start. Das kennt man von Brettspielen. Wenn man durch Würfelunglück oder eine falsche Handlung zurückgeworfen wird. Und die Spielfigur sodann wieder ein karges Dasein am Startpunkt fristen muss, während die anderen davonziehen. Bei mir hieß es vor ein paar Tagen jedoch in puncto Wohnung wieder: Zurück an den Start. Denn mein Nachmieter hat es sich anders überlegt. Aus heiterem Himmel. Verdammt!

Naja, es hüft ned, wie’s so schön heißt. Aufregen bringt eh nichts. Also wieder Fotos hervorkramen, neu inserieren, Telefonate entgegennehmen, Fragen beantworten, Besichtigungstermine ausmachen. Man kennt das ja.

Als erster kommt ein junger Mann. Seine Fragen hat er im Handy gespeichert. Er wirkt zurückhaltend. Schüchtern. Aus gutem Hause würden andere sagen. Doch dann die Wendung, denn nach den ersten beiden Räumen taut er auf. Und als er sich wieder von mir verabschiedet, habe ich das Gefühl, er wäre sofort auf ein Getränk ins Gasthaus mitgekommen, hätte ich ihn gefragt.

Am nächsten Tag schlägt ein Pärchen bei mir auf. Er dunkel gekleidet, adrett, selbstsicher. Fast schon forsch. Aber nicht unhöflich. Mit etlichen Fragen im Gepäck. Sie das helle und bedachte Pendant. Unsicherer. Aber ebenso gut vorbereitet.

Am dritten Tag steht ein weiteres interessantes Duo vor meiner Wohnungstür. Sie in kurzem Rock und Pumps und mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. Er in Karohemd und Jeans mit wenigen Worten auf den Lippen. Zuerst streckt sie mir die Hand entgegen, dann er. Ich führe sie durch die Wohnung. Mittlerweile kann ich die Beschreibungstexte schon auswendig, hebe die Hand wie mechanisch, um nach Osten zu deuten, wo die Sonne aufgeht, die den Balkon frühmorgens flutet und deute schon wie ferngesteuert auf das Sofa, das ich am liebsten hier lassen würde und das sich nach einem Abnehmer sehnt.

Mitten in meinen Ausführungen unterbricht sie mich plötzlich und fragt: „Was machst du denn beruflich?“ Ich bin perplex. Mit dieser Frage habe ich überhaupt nicht gerechnet. Die ist nicht Teil des üblichen Wohnungsbesichtigungs-Fragenkatalogs.

„Ich bin sowas wie Texterin und Online-Marketerin. Schreibmädchen für alles oder so“, sage ich.

„Ja, das passt. Das wundert mich nicht. Du hast so eine reiche Sprache! Viel reicher als die meisten. Ich habe das gleich gemerkt“, sagt sie. Und ich weiß gar nicht, ob ich grinsen oder beschämt zu Boden schauen soll.

Letztendlich bin ich einfach nur dankbar für dieses Kompliment. Zwischen Tür und Angel.

© Annika Höller 2024-10-09

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Herausfordernd, Emotional, Inspirierend, Reflektierend