Reinhard Mey lässt grüßen

Karin Sieder

von Karin Sieder

Story

„Mama, kannst du mir mal bei der Übersetzung helfen?“ Meine Dolmetsch-Fähigkeiten sind etwas bescheiden, dennoch wahrscheinlich bei weitem besser, als die meines minimalistischen Sohnes, der den Englisch-Unterricht nur zum Aufwärmen besucht.

„Du, Mama, ich brauch noch eine Fotostory für ein Keksrezept für die Schule. Es dauert gar nicht lange.“ Es ist schön, dass meine Kinder sich wirklich für die Schule engagieren. Und auch immer wieder mich einplanen. Wir arbeiteten NUR drei Stunden daran, jede einzelne Zutat und jeden Handgriff genauestens zu fotografieren.

„Geh, Schatz, hilf mir mal schnell die Bretter hinaufschlichten.“ Am besten sofort und gleich. Die lagen zwar jetzt mehrere Monate auf der Wiese hinterm Haus, aber nun müssen sie weg. Sofort. Warum? Kann mir niemand beantworten.

„Tochter, kannst du mal kommen und den Kasten im Keller ausräumen. Da sind lauter gute Sachen drin, die du noch nehmen kannst.“ Der Satz hätte vor dreißig Jahren gut gepasst, mittlerweile hat alles einen „leichten Odeur“. Der Kasten stand bei meiner Mutter im Keller, der bisher niemand gestört hat, und es wurde jahrelang hineingestopft.

„Nachbarin, ich habe beim Einkaufen die Lorbeerblätter vergessen, kann ich mir schnell eines ausborgen.“ Nach einer Stunde Tratsch und Klatsch und einem Kaffee ging sie auch wieder.

Und dann ist da noch die Wäsche zu versorgen, die Katzen zu füttern, Essen zu kochen und zig andere Dinge zu erledigen. Ohne ToDo-Listen hätte ich an diesen Tagen einen kleinen Vorgeschmack, wie es mir in – hoffentlich ferner – Zukunft mit meiner Demenz ergehen wird.

Ich liebe mein Leben. Bunt, turbulent, etwas hektisch und jeden Tag eine neue Herausforderung. Es ist schön, gebraucht zu werden. Und auch wirklich helfen zu können.

„Aber es gibt Tage, da wünscht ich, ich wär mein Hund. Ich läg faul auf meinem Kissen und säh mir mitleidig zu. Wie mich wilde Hektik packt zur Morgenstund.“ Frei nach Reinhard Mey.

Und dann kommt der Moment am Abend, wo ich mich still ins Zimmer setze, kein Licht anschalte und einfach nur ICH bin. Tief durchatme. Mich über meine gesunden Kinder freue. Meinem Mann dankbar bin für all seine Liebe und Unterstützung. Und dieser Moment dauert …

… bis der nächste ruft: „Mama, wo bist du? Ich wollte dich nur kurz was fragen. Warum versteckst du dich im Finstern?“

© Karin Sieder 2019-12-25

Hashtags