Reisende

Anna Kalesse

von Anna Kalesse

Story

Ein großer Koffer. Alles mögliche fliegt hinein.

Klamotten.
Schuhe.
Laptop.
Bilder.
Andenken.

Geschäftig rennt sie herum, hat das eine vergessen, sucht das andere noch.
Wo ist das Flugticket hin, hab ich die Dokumente ausgedruckt, brauch ich das hier noch, muss jenes wirklich mit, wo war nochmal…?
Ich schaue nur zu. Mache Witze, obwohl mir nicht danach ist. Möchte nicht daran denken, dass uns zu viel Zeit trennen wird. Ich würde sie gern festhalten, einfach zum Stillstand bringen, ihren Lauf stoppen.
Würde gerne den Zeiger der tickenden Uhr anhalten, ihre Batterie herausnehmen und nie wieder reintun.

Sie singt vor sich hin, während der halbe Kofferinhalt wieder hinausfliegt.

Klamotten.
Schuhe.
Laptop.
Bilder.
Andenken.

Es wird umgeplant. Wie viel wiegt es, ist es zu viel, wann muss ich da sein, was ist noch nötig, das muss wieder rein, das hier muss raus, was kann man nachschicken?
Aufgeregte Gespräche, nachdenkliches Spekulieren, nervöse Stimmung.

Ich sitze nur da und schaue zu. Selbst meine Witze sind erstorben, ich sitze nur noch da und schaue zu.

Und schon wird wieder eingepackt.

Klamotten.
Schuhe.
Laptop.
Bilder.
Andenken.

Der Koffer klappt zu. Zufriedenes Grinsen bei ihr, traurige Mienen bei den anderen. Gar keine Miene bei mir.
Ich würde sie gerne festhalten, in meine Arme schließen und niemals wieder loslassen, sie nicht gehen lassen, sie für immer bei uns behalten.
Sie schaut mich an.
Ich grinse und recke den Daumen in die Höhe, obwohl mir nicht danach ist. Doch die Wahrheit ist mir schmerzlich bewusst.

Reisende kann man nicht aufhalten.


© Anna Kalesse 2024-02-25

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Reflektierend, Traurig