ReizĂŒberflutet

Gerlinde Hinterstoisser

von Gerlinde Hinterstoisser

Story

Nach dem Aufstehen: Blick aufs Handy. SpÀter am Tablet: die Nachrichten lesen. Der Fernseher lÀuft fast schon automatisch.

„Mama, schau, wer hat geschrieben?“, sagt meine 8jĂ€hrige Tochter zu mir, als mein Handy vibriert. „Schnell, schau, vielleicht hat eine Freundin geschrieben.“ Es schreckt mich. Meine Tochter ist schon ebenso fokussiert aufs Handy, wie ich selbst es bin. Obwohl ich ja meistens nur Nachrichten lese, das Wetter abfrage oder mich mit Freunden austausche. Aber was heißt „nur“. Eigentlich zappt man fast pausenlos darauf herum.

Schauplatzwechsel. Letzte Woche in der Wiener U-Bahn. Da sitzen sieben Personen aufgeteilt auf zwei Sitzreihen und jeder, ja richtig gelesen, JEDER hatte sein Handy in der Hand und surfte herum. Unfassbar. Naja, mit Mundschutz ist mit Kommunikation auch nicht mehr viel los. Aber vermutlich wĂ€re das ohne auch nicht anders. Auf dem Weg zur U-Bahn links und rechts Monitore, auf denen Werbung lĂ€uft, am Bahnsteig ein Monitor mit Kurznachrichten und Werbung. Was ist das fĂŒr eine Welt? Wie ging das frĂŒher?

Da hatte man oft nur einen Viertel-Anschluss eines Festnetz-Telefons. Das heißt, wenn einer der Vier telefonierte, konnte man selbst niemanden anrufen. Da gab es WĂ€hlscheiben anstelle von Tasten und wenn man unterwegs war und dringend jemanden anrufen musste, hielt man an einer Telefonzelle. Unvorstellbar in Zeiten wie diesen, wo jeder sein eigenes Smart-Phone besitzt. Vom Schulkind bis zum Greis, alle sind online, stets erreichbar und immer up-to-date.

Heute fĂŒhlt man sich wie amputiert, vergisst man mal sein Handy zu Hause oder der Akku ist leer. Gut 20 Jahre ist es her, dass ich mein erstes Handy bekam. Was fĂŒr eine Errungenschaft. Ich habe aufgehört zu zĂ€hlen, wie viele Handys ich seither hatte. Es waren viele, sehr viele. Dabei bin ich nicht mal so ein Freak, der stĂ€ndig das neueste Handy braucht, aber es hat sich so ergeben, dass wieder mal der Akku kaputt war oder das Display oder, oder, oder.

Manchmal wĂŒnsche ich mir wieder eine Zeit ohne Handy, ohne Tablet, ohne Fernseher mit zig KanĂ€len. Da war die Welt noch in Ordnung. Da gab es Kinderprogramm von 17.00 – 18.00 Uhr, um 17.55 Uhr lief das Betthupferl und dann war Schluss. In manchen Gegenden Österreichs gab es gerade mal zwei FernsehkanĂ€le, wir hatten immerhin fĂŒnf!

Heute, 40 Jahre spĂ€ter, lĂ€uft eine Serie nach der anderen, ein Kinderprogramm nach dem anderen und wenn man die Kinder nicht irgendwann von der Kiste wegzerrt, wĂŒrden sie wohl den ganzen Tag in die Glotze schauen. Ich möchte nicht wissen, wie viele Kinder in der Freizeit oder in den Ferien stundenlang am Tablet oder vor dem Fernseher abhĂ€ngen.

Das Angebot ist da, wie wir mit den angebotenen Reizen umgehen, liegt in unserer Hand. Ein ZurĂŒck gibt es nicht mehr.

© Gerlinde Hinterstoisser 2020-08-15

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