Es war schon aufregend, einen alten Freund aus Kinder- und Jugendjahren zu treffen, umso mehr als Toni eine berühmte Persönlichkeit geworden ist. Ja, ich bin ihm auf Vernissagen und Begräbnissen begegnet und habe kurz mit ihm geredet. Ja, treffen wir uns einmal auf einen Kaffee. Aber ihr wisst ja, wie das ist, mit ‚einmal‘. Hier trifft das Sprichwort zu ‚einmal ist keinmal‘.
Nun hab ich all meinen Mut zusammengefasst und ihm mein Büchlein ‚Es war einmal ein altes Haus …‘ geschickt, in dem viele Geschichten über mein Elternhaus, aber auch eine über seines Vaters Haus in Oberau geschrieben stehen. Umgehend hat er mich angerufen und seine begeisterte Wertschätzung mitgeteilt. Und jetzt ist es so weit – wir haben ein Date.
Ich beschließe, mit dem Zug nach Innsbruck zu fahren, dann kann ich vielleicht auch ein Glas Wein mit ihm trinken, wie seinerzeit in seinem Atelier in der Erlerstraße. Ich steige eine Station zu früh aus, weil ich nicht weiß, dass Innsbruck jetzt zwei Haltestellen hat und so muss ich ziemlich weit in die Stadt hineingehen, aber ich bin noch rechtzeitig da, sogar 10 Minuten zu früh. Ich schaue mich im vereinbarten Lokal um, nein er ist noch nicht da. Ich warte, aber er kommt nicht. Ja, das habe ich erwartet, bin mir aber sicher, dass er auftauchen wird. Nach weiteren zehn Minuten denke ich mir: ‚Jetzt könnte er aber schon da sein!‘ In diesem Moment kommt er hinter einer Ecke hervor und sieht mich. Er war in einem Seitenteil gesessen und hat Zeitung gelesen. Er war nämlich auch schon früher da und hat gewartet. ‚Jetzt könnte sie aber schon da sein‘ war sein Gedanke und ist noch einmal schauen gegangen. Auch er hat mich vorher übersehen, weil mein Kopf in einem Buch steckte. Es ist ja nicht so, dass wir uns nicht gekannt hätten, wir haben uns nur übersehen.
Und dann reden wir, erzählen wir, so als ob nie Zeit vergangen wäre. Über früher, über die heutige familiäre und öffentliche Situation, über Kunst und Literatur, über meine bescheidenen Büchlein, über Rilke, Christine Lavant und meine Japanreise. Dann über Erich Fried und seine soeben fertig gestellte Arbeit für eine Ausstellung in Brixen, die mich tief bewegt: ‚Ich bin der Sieg mein Vater war der Krieg, der Friede ist mein lieber Sohn, der gleicht meinem Vater schon. 1945/46. Erich Fried. Spruch.
Diesen Text, der für sich eine ungeheure Wirkung hat, schrieb er Wort für Wort auf modellierte Gipsköpfe und hat damit ihre Bedeutung noch um ein Vielfaches verstärkt. Immer schon hat er Themen der Zeit aufgegriffen und bildnerisch dargestellt. Er ist wahrlich ein großer Künstler und ein wunderbarer Mensch. Zwei Stunden sind im Nu verflogen und wir vereinbaren ein nächstes Treffen in seinem Atelier mit seiner Frau, meinem Mann und Jakob, denn ‚Jakob’s Weg‘ – ein weiteres Büchlein von mir – interessiert ihn sehr.
In Anlehnung an Udo Jürgens Lied: ‚Mein Bruder ist ein Maler, ich bin nur ein Musikant‘ sage ich: ‚Anton Christian ist ein bildender Künstler, ich bin nur eine Schreiberin‘, aber schließlich erzählen wir beide Geschichten, mit denen wir Menschen berühren wollen.
© Christine Sollerer-Schnaiter 2023-05-14