von Ina Nym
Einst sagte mein Vater zu mir: „Kein Wunder, dass du keine Freunde hast – und Mann will dich auch keiner!“
Ich, damals etwa Ende zwanzig, verbreitete diese Botschaft umgehend in der ‚Freundesgruppe‘ und informierte auch bereitwillig meinen Partner über den Umstand, dass sie eigentlich gar nicht existent seien und es mir sehr leidtäte, sie mit real existierenden Personen verwechselt und sie dementsprechend regelmäßig mit ‚Kontakt‘ belästigt zu haben.
Der Auslöser für jenen emotionalen Ausbruch meines Vaters während eines meiner spärlichen Besuche im steirischen Oberland ist mir bis heute nicht ganz klar. Zu Beginn ging es um das Thema Versicherungen und eigentlich hatte ihm weder jemand Widerworte noch sonstiges gegeben. Ich kann mich noch genau erinnern, dass ich eine Interessenfrage zu etwas Bestimmtem gestellt hatte. Wie das nun aber dazu geführt haben konnte, dass er brüllend und erniedrigend im unteren Stockwerk gewütet hatte, weiß ich nicht. Irgendwann war ich plötzlich hassenswert gewesen.
Nicht, dass mir diese Dynamik nicht schon von jüngster Kindheit an bekannt gewesen wäre, ich hätte sie nur zu gerne auch nur ein einziges Mal verstanden. Zumindest hatte ich gelernt, mich in solchen Situationen schnell in Sicherheit zu bringen, denn meinen Eltern kam gern die Hand aus.
Zwar war dies zum letzten Mal passiert, als ich Anfang zwanzig einmal schwach Zweifel an der Aufrichtigkeit der damaligen Freundin meines Bruders geübt hatte, (Spoiler: Er hatte sich im Laufe der Zeit mehr als nur bestätigt) aber dennoch: Sicher ist sicher.
Diesmal ging es zwar nicht um ein Mädchen, das meiner Mutter wie die Tochter gewesen war, die sie nie gehabt hatte, sondern nur um nüchterne Fakten und Zahlen, aber selbst das konnte die Gemüter wohl unverhältnismäßig reizen.
Für all jene, bei denen sich nun ein betretenes, inneres (oder auch äußerliches) Verurteilen einstellt: Das ist österreichisches Hinterland und derlei Umgangsformen wohl ebenso üblich, wie das allwöchentliche Theaterschauspiel in diversen Kirchen, wo der Landadel Familie, Tracht und die zur Perfektion gebrachte eigene Hochleistungsnormalitat zur Schau stellt und so manch andere mit stiller Verachtung straft, die es nicht annähernd so weit gebracht haben, wie sie.
Die Angewohnheit meiner Stammfamilie Emotionen – vor allem jene negativer Natur – auf mich zu kanalisieren, war für mich lange Zeit ‚business as usual‘ – und da man mich stets ‚relativ forsch‘ dazu anhielt, meinen Mund zu halten, wenn ich meinen Unmut darüber kundtat, da meine Ansicht ‚ohnehin niemanden interessiere‘, habe ich mir abgewöhnt, dies zu hinterfragen.
Später sollte mir bewusst sein, dass diese Behandlung bei weitem nicht all meinen Verwandten zuteilgeworden war. Mehr noch: Wohl war es auch niemandem aufgefallen und man hatte sich mit der Erklärung begnügt, dass ich nun mal ein sehr, sehr schwieriger Mensch sei, in dessen Gegenwart Menschen quasi dazu gezwungen seien, an die Decke zu gehen.
Ob dem tatsächlich so ist, konnte ich bislang noch nicht in Erfahrung bringen. Vielleicht erfahre ich es irgendwann.
© Ina Nym 2023-12-17