Reue

Ignatius-B-Samson

von Ignatius-B-Samson

Story

“I have no regrets“, “ich bereue nichts”, ein Satz, den man häufig hört, zum Beispiel auf Schul- oder Studienabschlussfeiern. Ich konnte diesen Satz nie leiden.

Es klingt so irreal. Kann es sein, dass ein Mensch uneingeschränkt zufrieden mit all seinen früheren Entscheidungen ist? Ich bereue Entscheidungen, die ich getroffen habe, Gelegenheiten, die ich verpasst habe, die nie wiederkehren. Ich glaube, dass ich jahrelang nur funktioniert habe und mir nie Fragen gestellt habe. Ich hatte nie diese Teenagerphase, in meinem Studium bin ich auf keine Party gegangen. Ich wollte von den Erfahrungen vorangegangener Generationen profitieren. Wenn man hört, wie die Leute ihre rebellischen Teenagerjahre bereuen oder die auf Partys verschwendete Zeit, warum sollte ich diese Fehler dann machen? Heute denke ich, weil diese Fehler gemacht werden müssen, weil diese Erfahrungen gesammelt werden müssen – doch ich habe diese Fehler nie gemacht, und genau das bereue ich jetzt.

Vor einigen Tagen sagte ich “manchmal bereue ich, dich so nahe an mich herangelassen zu haben” und die Antwort war “manchmal bereue ich, dir so nahe gekommen zu sein.” Ich hatte es so gemeint, in meinen schwachen Momenten bereue ich so manches. Nicht die Geheimnisse, die ich ihr anvertraute, denn ich weiß, dass sie bei ihr sicher sind. Aber ich habe in dieser Beziehung so manchen Schmerz erfahren, und manchmal glaube ich das zu bereuen – bis ich mir vergegenwärtige, was ich in dieser Beziehung alles gewonnen habe. Vor ihr war ich ein Wrack, und vermutlich wäre ich heute nicht mehr hier, wäre sie nicht gewesen. Sie hat nur helfen wollen, das weiß ich, und sie hat mir viel von sich gegeben, und so ist diese Reue denn auch eher eine des Egos, nicht aufrichtig gefühlt, denn ich weiß, dass es so kommen musste, und hätte ich die Wahl, mir die Schmerzen, aber auch das Glück dieser Beziehung zu ersparen oder beides genauso erneut zu erleben, so würde ich nicht zögern und mich wieder hineinstürzen.

Was ich tatsächlich aufrichtig bereue, ist der Schmerz, den ich ihr zufügte. Ich war kalt, distanziert und verletzend und ich wusste, was ich tat. Ich hielt es damals für meine beste Option und selbst heute weiß ich nicht, ob ich es besser machen könnte. Ich bereue, dass es ihr näher ging, als ich gedacht und bemerkt habe. Ich bereue es nicht, weil sich durch dieses Handeln eine Tür geschlossen hat, die sich vermutlich nie wieder öffnen wird, denn das ist durchaus nachvollziehbar, sondern weil ich ihr im Grunde meines Herzens nie schaden wollte. Ich schultere die Verantwortung für das, was ich getan habe. Ich weiß, dass es nie wieder wie früher wird, und selbst wenn, habe ich auch nicht vergessen, dass ich selbst es war, der mit dem, was früher war, auch nicht zufrieden war. Ich verzeihe mir, dass ich es nicht besser wusste und ich verzeihe ihr, dass auch sie eine Grenze hat, und ich hoffe, dass irgendwann sie mir verzeihen kann, nicht weil ich Vergebung verdiene, sondern weil sie Frieden verdient.

© Ignatius-B-Samson 2022-08-07

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