von Sophie Jones
Jeder Besuch bei Rewe macht mir immer wieder klar, warum ich meine Tage in einem zugestellten Raum verbringe und mit Pflanzen rede. Da ist es bis auf das Rauschen der Server und der durch die geschlossenen Fenster hereintönenden Geräuschkulisse der Außenwelt ziemlich still und das mag ich. Bei Rewe ist das anders. Es ist hell, laut, bunt und schrill. Mein Problem ist, ich kann nicht so mit Menschen. Menschen sind laut, oft unbeholfen, kommen anderen zu nah und wenn es wärmer wird, beginnen sie zu müffeln und sondern Körperflüssigkeiten ab. Nichtsdestotrotz wahren sie meistens keinen Abstand, sondern pressen sich mit ihrem verschwitzten Habitus im Bus ausgerechnet auf den einen Platz neben mich, obwohl alle anderen Plätze frei sind. Unverständlich. Unbehagen und Übelkeit machen sich schneller in meiner Magengegend breit, als ich „Hex Hex Verschwindibus“ sagen kann, aber jeder Sozialphobiker weiß, in solchen Momenten hilft nur eins: Immer mit einem Kaktus Bus fahren, den man auf dem Nebensitz anschnallen kann. Diese Möglichkeit bietet sich aus logistischen Gründen beim Lebensmitteleinkauf nicht. Ab einer gewissen Kundenzahl verwandelt sich mein gemütlicher Rewe-Bummel, bei dem ich neue spannende fernöstliche Köstlichkeiten entdecke, in einen 10-Minuten Slalomparcour durch die Regale, als würde ich dem Höllenschlund entfliehen wollen. Wie dieses Kinderspiel, bei dem man immer versucht der Lava auszuweichen, um nicht kläglich schreiend im siedenden Erdkern zu verbrennen. Eine falsche Bewegung, ein kleiner Hüpfer, bei dem dich eine pochende Sehne oder ein lawedes Sprunggelenk im Stich lassen und flupp – Treffer versenkt – tot. So geht es mir mit den Menschenmassen, hauptsächlich bestehend aus Rentnern und kleinen Kindern, im Supermarkt. Und das schon lange vor Corona und der beißenden Angst im Nacken von einem todbringenden Virus, übertragen von der Rotzfahne des 4jährigen Jason Mohammad Neubauer, hinweggerafft zu werden und elendig auf dem Flur einer überfüllten Intensivstation hinwegzusiechen. Merke: Warentrenner desinfizieren.
Genauso schlimm verfolgt mich die Angst vor Einkaufswagen die mir mit 80 km/h ins Steißbein gerammt werden, weil Oma Gudrun mit ihrer Nachbarin Bärbel noch über den Sauerbratenerfolg von letzter Woche quatschen muss. Hoch erfreut gibt Gudruns Körper eine letzte Zuckung von sich, mit der sie ihren Einkaufswagen wie einen entgegengesetzt gepolten Magneten energetisch geladen abstößt – direkt in mein Rückgrat. Volle Breitseite mit der Blendgranate. Gudrun ist zwar up-to-date mit Kind im Ohr, dem modernsten aller Schallwellenverstärker für Senioren, aber der dumpfe Aufprall und mein angepisstes Stöhnen entgehen ihrer Aufmerksamkeit völlig. Da ich ungern wütend auf Menschen bin, die keinesfalls böse Absichten haben, schlucke ich meinen Unmut hinunter und humple zum Kühlregal, in dem festen Vorhaben morgen einen Termin beim Physiotherapeuten zu vereinbaren.
© Sophie Jones 2022-08-30