Rezepte und erste SĂ€tze.

Franz Brunner

von Franz Brunner

Story

Jeder der viel liest, kennt das PhĂ€nomen: die Macht des ersten Satzes. Und natĂŒrlich war den großen Literaten dieser Umstand bekannt, manche brachten es darin zu einer wahren Meisterschaft. Franz Kafka war einer dieser Könner. In seinem Werk „Der Prozess“ begann er so: „Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne, dass er etwas Böses getan hĂ€tte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ Na, wenn das nicht spannend ist.

Oder nehmen wir einen zĂŒndenden Satz von GĂŒnter Grass. „Zugegeben, ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt.“ „Die Blechtrommel“ fĂ€ngt so an. Was will der Autor mit dem Typen? Hat der ĂŒberhaupt was zu sagen? Ist der gar gefĂ€hrlich?

Nicht viel anders ist die Sache bei Rezepten, da ist die Einleitung mindestens genauso wichtig wie in der Literatur. Ein Beispiel:

„Man nehme ein Glas Wein und schĂŒtte es in den Koch.“ Wenn ein Rezept so beginnt, hat es gute Chancen, sogar von Koch-AnfĂ€ngern umgesetzt zu werden. Wie groß sind Ihre Ambitionen, wenn ein Rezept allerdings so beginnt:

„Dieses Gericht ist aufwĂ€ndig herzustellen, die Zutaten sind teuer, es hat jede Menge Kalorien und schadet der Umwelt.“ Wollen Sie das wirklich? Die Umwelt beleidigen und zudem viel Arbeit damit haben? Ich denke, wir verstehen uns.

Auf eines meiner unvergesslichen FrĂŒhwerke, man zahlte noch mit dem österreichischen Schilling, so frĂŒh war das, also auf dieses FrĂŒhwerk hĂ€tte diese Einleitung gepasst. War aber leider nicht so, sonst hĂ€tte ich die Finger davon gelassen. Wir hatten ein befreundetes PĂ€rchen zum Abendessen eingeladen und ich bot an, das Kochen zu ĂŒbernehmen.

Gespickte Putenkeule mit Rotkraut und Serviettenknödel sollte es geben, so meine fahrlĂ€ssige Entscheidung. Im Rezept stand nichts von Kosten und Arbeit, aber die bunten Bilder gefielen mir. Alsdann, ein Mann, eine KĂŒchenschlacht. Ich erspare Ihnen Details und die Schilderung der Gefahrenmomente. Irgendwie schaffte ich es, dieses Ding zu spicken und ins Backrohr zu schieben. Dann brauchte es nur mehr die richtige Temperatur und, ganz wichtig, regelmĂ€ĂŸiges Aufgießen mit einem Schuss Rotwein alternierend mit einem Spritzer Cognac. Eine Stunde war fĂŒr das Procedere vorgesehen, eine Stunde, die es in sich hatte. TatsĂ€chlich wurde die Keule knusprig braun, der Duft war fantastisch und mindestens so gefĂ€hrlich. NatĂŒrlich hatte ich als gewissenhafter Koch auch die AufgussflĂŒssigkeiten auf QualitĂ€t zu prĂŒfen, doch in erster Linie waren es die nebeligen Schwaden, die mich mĂŒde machten. So mĂŒde, dass ich beim Eintreffen der GĂ€ste eine grobe Beschreibung meiner Kochleistung abgab und dann um eine kleine Auszeit bat.

Machen wir’s kurz: Als ich mich wieder in die Gesellschaft einbringen wollte, war keiner mehr da. Und es hat gemundet, so wurde mir Tage spĂ€ter, als meine Liebste wieder mit mir sprach, zugetragen. Seit jener Zeit halte ich mich an die hausinterne Auflage, gefĂ€hrliche Rezepte nur mehr unter Aufsicht auszuprobieren. Und wenn keine GĂ€ste kommen.

© Franz Brunner 2021-10-08

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