Rike II:Intimrasur oder das macht man halt so

Christine S

von Christine S

Story

Da saß ich. Spielplatz. Sommer. Alle zeigten Beine. Auch ich. Anders war, dass die Meinen haarig waren und die der anderen ausnahmslos nicht. Ich fühlte Scham ob meiner Beinbehaarung. Es war ein Experiment. Ich wollte nicht mehr Teil sein von diesem Wahn, ständig und überall rasiert zu sein. Ich wollte nicht mehr meine Beine rasieren, nur, weil man das halt so macht. Ich hasste Dinge, die man macht, weil man sie halt so macht. Wer war dieses man? Ein quergeborenes Überbleibsel patriarchaler Machtstrukturen. Eine diffuse Verallgemeinerung. Eine duckmäuserische Ich-Vermeidung. Da saß ich mit meiner haarigen Beinpracht und schämte mich. Fühlte mich unattraktiv. Öko und ungepflegt. Da ich mein Vorhaben auf meine Achseln und meinen Intimbereich ausgeweitet hatte, wagte ich nicht, die Arme zu heben. Meine Hose verbarg den dichten Wald auf meinem Venushügel. Ich mochte ihn. T. war semi begeistert. Er mochte lieber Glatze, wie er es nannte. Auch hier in der Sonne fühlte ich noch immer die Abscheu ob seiner Worte. Ich mochte das manchmal ja auch. Ganz glatt sein. Den Hügel meiner Vulva direkt zu berühren, die weiche Haut meiner Vulvalippen sanft zu streicheln. Die warme Feuchtigkeit meiner Lusthöhle mir entgegentreibend. Ja, das war wundervoll. Ich konnte das sehr genießen. Und zugleich fühlte ich mich dann schutzlos und, ja, fickbereit. Eine rasierte Vulva war für mich der Inbegriff der Pornoindustrie. Die Japaner hielten es da anders. Ich hatte mich seit meiner Jugend überall rasiert. Außer auf dem Kopf. Für die Männer. Weil ich dachte, dass sie mich sonst nicht geil finden würden. Weil ich dachte, dass sie sonst nicht mit mir schlafen würden. Ich war fast Ende zwanzig, als ich meinem selbstauferlegten Rasierwahn auf die Spur kam. Frisch getrennt und auf einer Erotikplattform angemeldet. Ich zeigte mich untenrum. Ich wollte, dass die Welt das sah. Und ich wollte wissen, wie sie reagierte, die Welt. Die Männerwelt. Sie liebten es. Es schlugen mir Wellen der Wertschätzung für den puren weiblichen Körper entgegen. Abseits von Porno und Schönheitsindustrie. Und es weckte in mir ein Begehren für mich selbst. Es wandelte meine Sexualität. Aus Fickificki wurde Hingabe und Führung. Jedenfalls wenn der Mann mitmachte. War leider nicht immer der Fall. Die meisten kannten dann doch einfach rein, raus, abspritzen und tschüss. Das waren dann auch die, die frischgemähte Wiesen dem dichten Wald vorzogen. Waren Männer, die Intimbehaarung bei Frauen liebten, die besseren Liebhaber? Und warum trugen so viele Menschen eine Aversion gegen Intimbehaarung in sich? Vor einigen Jahren fragte meine kleine Nichte mich, warum ich Haare unter den Achseln hätte. Bei ihrer Mutter hatte sie das nie gesehen. Noch immer verkauft die Werbung behaarte Achseln, Beine und Intimbereiche bei Frauen als etwas, das entfernt werden müsste. Ich wollte herausfinden, wie viel rasierte Beine mit Sexappeal und Weiblichkeit zu tun hatten. Und als mich der Papa von Marlon nach Uhrzeit fragte, hob ich rein zufällig meinen rechten Arm. Nur um meine Augen gegen die Sonne abzuschirmen. Ein Mutanfall. Ein kleiner. Immerhin. Er lief nicht schreiend davon, obwohl er sicherlich meine behaarten Achseln gesehen hatte. „Zehn vor sechs.“ „Danke“ wir lächelten uns an und für einen Moment vergaß ich meine Körperbehaarung.

© Christine S 2024-01-11

Genres
Romane & Erzählungen, Biografien
Stimmung
Herausfordernd, Emotional, Inspirierend, Reflektierend
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