Ritas Entdeckung

Gernot Candolini

von Gernot Candolini

Story

Heute habe ich etwas besonderes vor: Die Flächenberechnung des Kreises. Dieses Thema ist ein gutes Beispiel dafür wie es gelingen kann, Kinder selbst etwas entdecken zu lassen.

Ich zeichne mit dem Zirkel einen Kreis und scheide ihn aus und stelle den Kindern die Frage: „Wie finden wir die Fläche heraus?“ Sie schauen mich stumm an. Als Lehrer ist es die größte Kunst immer nur gerade soviel zu sagen, um den Forschergeist in Gang zu setzen, aber auch ja nicht zu viel von dem zu verraten, was sie selbst herausfinden können. „Welche Flächen können wir schon berechnen?“ „Die Fläche des Rechtecks – a.b.“ „Also könnten wir versuchen die Fläche des Kreises in die Fläche eines Rechteckes umzubauen.“ Jetzt haben die Kinder erste Idee. „Wir könnten in den Kreis ein großes Quadrat einfügen, daneben kleine, usw..“ Wir könnten ein Zentimeter große Quadrate einfügen, dann alle zählen und die halben am Rand auch.“ „Wir könnten den Kreis wie eine Pizza zerschneiden und die Stücke gegeneinander legen, sodass es wie ein Rechteck aussieht.“ Drei Ideen, drei Arbeitsgruppen und los geht das Zeichnen, Messen und Schneiden.

Alle haben einen Kreis mit 10cm Radius verwendet, und nach einer Weile haben wir die ersten Ergebnisse: 302.5, 308, 312 cm².

Ich nehme die Pizzavariante und zeige, dass eine Seite der Radius ist. Aber was ist die andere Seite? Irgendwann sagt einer: „Ungefähr 3 Mal der Radius.“ „Das ist eine tolle Theorie, es könnte ja sein, dass die Fläche eines Kreises so ausgerechnet werden kann: Radius x Radius x 3.“ „Wir könnten die Theorie überprüfen, indem wir alle noch einen Kreis machen und noch genauer arbeiten,“ lautet mein Vorschlag. Arbeitsgruppe 1 und 2 stöhnen hörbar auf. „Ich kann es Euch verraten, wenn ihr wollt, oder ihr könnte es selber entdecken.“ „Verrat‘s uns.“ Aber da sagt die Pizza-Arbeitsgruppe: „Wir machen es noch einmal genauer.“ Erst am nächsten Tag sind sie fertig und nie, niemals in meinem Leben werde ich diesen einen Augenblick vergessen, als Rita vor mir steht und mich mit großen, enttäuschten, traurige Augen ansieht und sagt: „Ich habe es jetzt fünfmal gemessen, so genau es geht, es kommt einfach nicht drei heraus.“ Und was kommt bei Dir heraus?“ „3,14“. Mir stellt es die Gänsehaare auf, und ich sage zu ihr sichtlich erregt: „Vergiss das nie, vergiss das nie: 3,14!“ Rita ist ein wenig irritiert, warum ich so heftig reagiere, und ich lege noch nach und sage: „Das musst du deinen Eltern erzählen, du musst Ihnen erzählen, was du herausbekommen hast.“ Sie weicht ein wenig zurück und weiß immer noch nicht, was mit mir los ist. „Du hast gerade Pi entdeckt. 3,14 das ist Pi! Die berühmte Kreiszahl.“

Auch später als ich Ihnen die Geschichte von Pi erzähle, versteht sie immer noch nicht, warum ich so ausgeflippt bin. „Man misst halt einfach und das ist dann halt so,“ sagt sie.

© Gernot Candolini 2020-04-21

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