Eine Insel hat es nicht leicht, denn sie fĂŒhrt ein bedrohtes Dasein. Das Wasser knabbert stĂ€ndig daran, die StĂŒrme spĂŒrt man stĂ€rker, jegliches Leben auf einer Insel muss mit sich selbst zurechtkommen. Aber von wo ist die Aussicht ungestörter als von einer Insel hinaus aufs Meer oder einen See?
Ich liebe Inseln und war auch schon auf so mancher, auf groĂen Inseln, die ich aber gar nicht so gerne als solche gelten lasse, und auf kleinen und kleinsten. Eine richtige Insel ist es fĂŒr mich erst dann, wenn ich von den Zinnen meines ertrĂ€umten Wohnturms aus rundum Wasser sehen kann.
Wenn ich eine Reise andenke, fallen mir zuerst Inseln als Ziel ein. Eine Insel vermittelt durch ihre eindeutige Begrenztheit ein GefĂŒhl der Geborgenheit. Das Umschlossene, das andererseits auch eine Art Gefangenschaft darstellt, hindert einen am Ausufern, am Auseinanderlaufen, am Sich-Verzetteln und Sich-Verlieren. Eine Insel sagt einem klar: bis hierher und nicht weiter. Nicht noch einen Schritt, sonst verlierst du den Boden unter den FĂŒĂen und etwas reiĂt dich mit ins Unbekannte. Eine Insel ist wie eine angenehme Umarmung in einem ungewissen Meer von Fremdheit.
Im Hinterkopf aber schwebt, stĂ€ndig störend, der altbekannte Spruch âNiemand ist eine Insel“, vielen bekannt als Buchtitel des Bestsellerautors Johannes Mario Simmel, den viele meiner Generation in der Jugend heimlich gelesen haben. Die Erkenntnis stammt aber gar nicht von ihm, sondern von John Donne aus dem frĂŒhen 17. Jahrhundert. Aus demselben Gedicht von Donne hat noch ein anderer Autor einen berĂŒhmten Buchtitel bezogen, nĂ€mlich Hemingway mit âWem die Stunde schlĂ€gtâ. Ich habe Stunden, da stimme ich zu, dass wir keine Inseln sind, aber oft erkennt man, dass dem doch so ist, denn in uns sind wir immer alle allein, sind wir wie treibende Inseln auf hoher See, die manchmal fĂŒr einen kurzen Moment Sichtkontakt zu anderen Inseln haben, wenn sich der Nebel hebt.
Als Kind war âRobinson Crusoeâ lange Zeit mein Lieblingsbuch und ich habe es gute zehn Mal gelesen, damals nicht ahnend, dass es schon so alt und ursprĂŒnglich gar nicht als Kinderbuch gedacht war, genau wie ĂŒbrigens âGullivers Reisenâ. Ich liebte vor allem jene Szenen, in denen Robinson sich allein in seiner Welt einrichtet und immer besser zurecht kommt, aber ich konnte Freitag nie leiden. Er störte die Vollkommenheit dieser Einzelexistenz und ich verstand nie, warum Robinson ihn so freudig aufnahm. Mit Freitags Auftreten war das Buch fĂŒr mich uninteressant. Und das Ende empfand ich nicht als Rettung Robinsons, sondern als Störung seiner Ruhe. Von mir aus hĂ€tte er bleiben sollen.
Eine Insel zu sein ist eine Daseinsform und kein geografischer Begriff. Robinsons Insel war die erste Insel, auf die ich mich begab, und dass es nur in Gedanken war, spielt keine Rolle. Genau genommen bin ich heute immer noch dort. Ich bewohne einen hohen Turm auf dieser Insel, und von meinem Ausguck sehe ich andere Inseln in der Ferne. Ich bin Rapunzel ohne Zopf.
© 2022-04-30