Rollend, in schäumenden Wellen

MISERANDVS

von MISERANDVS

Story

“Der Bub muss Schwimmen lernen.”, stellte Vati eines samstags nachdrücklich fest. Ich denke, es war weniger der Wunsch, dass ich eine Sintflut überleben sollte, sondern vielmehr die Sorge, ich könnte ihn blamieren, weil ich als einziger in der Schule nicht schwimmen könnte, dabei Vater des Gedanken. Und nach einer schlaflosen Nacht fuhren wir an den See.

Das war sehr schön. Ich war ja gern im Wasser. Und wenn wir Baden gingen, gab es immer Pommes mit Ketchup, die ich mit klammen Fingern, glücklich lächelnd, durch blauen Lippen zwischen klappernden Zähne schob. Als ich meine Arme von mir streckte, damit Mutti mir die knallorangenen Schwimmflügelchen draufschieben konnte, meinte Vati: “Die braucht er nicht. Er soll ja schwimmen lernen.” Als er mich an der Hand nahm und mit sich Richtung Wasser zog, blickte ich noch einmal zurück auf die Flügelchen, aus denen langsam die Luft entwich.

Dann standen wir am Steg. Vati erklärte mir die Grundlagen des Schwimmens. Er machte mir vor, wie ich mit den Händen zu arbeiten hätte und mit den Beinen zu strampeln. Das sah ein wenig albern aus am Trockenen, aber durchaus machbar. “Ich zeig dir das vor.”, sagte Vati, trat ein paar Schritte zurück, nahm Anlauf, sprang Kopf voraus ins Wasser, tauchte gefühlte drei Tage später und vier Kilometer weiter draußen wieder auf und winkte, ich solle folgen. Immer noch tief beeindruckt von der Eleganz meines Vaters beim Sprung ins kalte Nass, stand ich mit schlotternden Knien auf dem Steg und sah hinab ins endlose Dunkel, in dem es bestimmt garstige Viecher gab, die kleine Kinder fraßen. Was, wenn der “Quirax” auch hier lebte? Plötzlich stand Vati neben mir am Steg, schüttelte sich, das kalte Wasser spritze auf mich, und er fragte: “Was ist? Wird’s bald?” Ja, … oder doch eher nein, würde es, weder bald noch irgendwann, beschloss ich.

Vati nahm mich auf den Arm, seufzte laut. Erst die Pleite beim Skifahren und nun das. Doch ich war glücklich, dass er mich drückte und mir den nassen Tod ersparte. Und ich freute mich auf meine Pommes mit Ketchup. Das tat ich sogar noch kurz, als ich Vatis Arme bereits verlassen hatte und mich brüllend in Richtung Stratosphäre durch die Luft bewegte, langsam aber sicher gegen die Anziehungskraft verlierend, zur Landung ansetzte, ins Wasser eintauchte und gurgelnd und strampelnd darin versank. Schon packten mich Vatis Hände und zerrten mich an die Oberfläche, wo ich einen Großteil des ausgesoffenen Sees durch Mund und Nase retournierte. “Beruhig dich mal, ich bin ja da!”, hörte ich Vati, und er schob seine Arme unter mich. So lag ich auf der Wasseroberfläche. Vati meinte: “Los, wie ich es dir gezeigt habe. Arme und Beine.” und ich armte und beinte tapfer.

Irgendwann endete meine erste Schwimm-Lektion, und ich hockte, zitternd vor Kälte, in ein Tuch gehüllt da. Pommes fielen leider aus. “Nur Leistung wird im Leben belohnt.”, meinte Vati.Schwimmen kann ich heute wie ein Fisch. Ich hab viel von Vati gelernt. Meistens auf die harte Tour.

© MISERANDVS 2021-05-04

Hashtags