Ronda

Günther Stark

von Günther Stark

Story

„Es gibt eine Stadt”, schreibt Hemingway, „die besser als Aranjuez ist, um Ihren ersten Stierkampf zu sehen, hauptsächlich, wenn Sie nur einen sehen werden, und das ist Ronda. Dahin müssen Sie fahren, wenn Sie je nach Spanien auf Hochzeitsreise gehen oder wenn Sie mit irgendwem durchbrennen. Die ganze Stadt, und so weit, wie Sie in jeder Richtung sehen können, ist romantischer Hintergrund, und es gibt dort ein Hotel, das so bequem ist, so gut geführt wird, und wo man so gut isst, und wo gewöhnlich nachts eine kühle Brise weht, dass, wenn eine Hochzeitsreise oder eine Entführung mit dem romantischen Hintergrund und dem modernen Komfort in Ronda kein Erfolg ist, Sie geradeso gut nach Paris aufbrechen und beide anfangen können, sich ihren eigenen Freundeskreis zu schaffen.“

Nehmen wir außerdem noch an, dass Sie weniger am Tod der Stiere am Nachmittag als an den Flamenco-Nächten der Stadt interessiert sind, – und Sie begreifen meine Euphorie, als wir nach einer auf der Straßenkarte mit Recht als besonders schön markierten Strecke – und dem wie ein Haufen gleißender Kiesel in die Wüste gewürfelten Arcos de la Frontera, mit seinem blauen See – beim Eintreffen in der Stadt das gerade bevorstehende Flamencofestival angezeigt fanden.

Ein kleines, schwarzweißes und alles in allem recht schmuckloses Plakat, das in der linken oberen Ecke einen fotogenen Winkel der Stadt, aufgenommen vom Fuß der felsdurchschneidenden Schlucht, darstellte. Darunter fand sich eine Gruppe Bürger versammelt, die mit etwas Fantasie ebenso gut als die Ausläufer einer am Rande der Gesellschaft lagernden Zigeunersippe gelten konnten.

Angesagt war im Rahmen der Feierlichkeiten für Pedro Romero – einen berühmten Stierkämpfer der Stadt – das X Festival de Cante am zweiten September halb elf Uhr nachts im Recinto de Festivales de la Alameda del Tajo, einem Festivalgelände unter der Pappelallee an den Ufern des Tajo.

Der Blick von unserem Hotelzimmer aus bot genau die von Hemingway beschriebene romantische Szenerie, auch wenn es nicht eben die von ihm insinuierten Zwänge der Flitterwochen, bei denen man kaum mehr dazu kommt, das Hotelzimmer zu verlassen, sondern vergleichsweise prosaische Gründe waren, die uns unsererseits die Stubenhockerei nahelegten. Eine gefährliche Geldknappheit und anämische Schwindsucht des Geldbeutels nämlich ließ den Freunden, um die bevorstehende lange Rückkehr nicht zu gefährden, die neuerliche Belastung der Reisekasse durch das X Festival nicht eben mehr rätlich scheinen, während ich doch noch die 500 Peseten für die Confecciones Clotet berappen konnte, die als Vorverkaufsstelle dienten.

Das X Festival de Cante von Ronda war es, bei dem mir der Gedanke zu einem Buch über Flamenco kam. Der literarische Impuls holte mich in Gestalt einer Art flamencokundlichen Chronik wieder ein – ein letztes und unwiderlegliches Zeichen dafür, dass wir unserem Dämon, wie immer wir uns auch wehren, am Ende doch nicht entkommen.

© Günther Stark 2021-03-23

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