Rose.

Selina Auer

von Selina Auer

Story

Ich hatte seit zwei Tagen nicht mehr mit Ophelia gesprochen. Ich suchte sie überall und ich war mir meiner auffälligen Blicke bewusst. Ich konnte trotzdem nichts dagegen tun. Als ich sie endlich erwischte, blickte sie alarmiert auf meine Hand. Oder eher, was in ihr war.

„Was zum Teufel?“

„Die ähm, keine Sorge, ist nicht von mir“, stammelte ich unbeholfen, als ich ihren Ärmel losließ. Die anderen Patient*innen sahen uns neugierig an, also gestikulierte ich ihr, in den Nebengang auszuweichen. Erstaunlicherweise folgte sie mir. „Die, also die Blume, mein Vater schickt seine Grüße und wollte, dass ich dir die bringe.“

Ich sagte nicht, wie er bemerkt hatte, wie oft Ophelia im Blumenfeld alleine saß. Wie er sich entschuldigte mich geschlagen zu haben, als ich mit einer Blume im Revers nach Hause kam. Dass er stolz war, wie involviert ich mit dem Wohlbefinden unserer Patient*innnen war. Er erinnerte sich auch an Ophelia. Er wollte ihr diese Rose geben. Womit ich nicht rechnete, war die Lebendigkeit ihrer Augen als sie die Blume anblickte. Es war als würden sie eine Geschichte erzählen. Von Hass, zu Abscheu, zu Reserviertheit, zu unterdrückter Wut, zu geschluckten Gedanken. Ich zuckte zusammen, als sie mir die Rose aus der Hand nahm.

„Weißt du, was das für eine Rose ist?“

„Eine…weiße? Ich glaube mein Vater hat einfach eine gewählt, von der er dachte, dass Frauen sie mögen. Ich konnte mir ihre Gedanken bildlich vorstellen. Wieder in eine Kategorie gesteckt. Ich beobachtete ihr Gesicht, wie es sich wieder fasste, ihre blauen Augen abwiegend.

„Lass uns ein Spiel spielen. Du erzählst mir ein Gerücht, und ich sag dir die Wahrheit dahinter. Meine Wahrheit.“

„Wir sind immer noch in unserem ersten Spiel. Ich weiß immer noch nicht, warum du hier bist.“

Es war ein schwacher Versuch, aber ich wand mich innerlich bei dem Gedanken, Ophelia ins Gesicht zu sagen, was sich über die Jahre an Gerüchten über sie angesammelt hatten. Nicht, wenn ich wusste, dass sie sich um die jüngeren Patient*innen kümmerte, immer in der Küche aushalf, obwohl dies nicht von ihr verlangt wurde, und sie die einzige Ansprechpartnerin für einige der härteren Fälle hier war. Ich wusste es, weil ich meine Arbeitskolleginnen gefragt hatte.

„Ich bin in Redelaune. Es ist eine seltene Chance, aber nimm sie nur, wenn du dir sicher bist, dass du das, was ich sagen werde, auch wirklich hören kannst.“

Als wäre ich auch einer jener Menschen. Dieser Menschen. Jener Menschen. Die schlechte Art von Menschen. Die verurteilende Art. In der Vergangenheit war ich das, vielleicht, aber in dem Moment saß sie vor mir, in Fleisch und Blut und Augen, die ich kannte wie meine eigenen und ich wollte ihre Wahrheit. Ich wollte nicht diese Art von Menschen sein. Ich wollte, dass mir diese Augen vertrauten. Ich wollte der jemand sein, dem sie vertraute. Ich musste es sein. Also begann ich mit der ersten Lüge: „Ich habe gehört, dein Vater hat seine Kontakte spielen lassen, um dich im Ausland studieren zu lassen.“

© Selina Auer 2021-08-15