Rote Rosen sollen regnen, wer vermag da zu widerstehen? Meine ersten Herzensrosen regneten mit zwölf am Kartoffelfeuer – zunächst aus Mitleid.
Berlin war und ist eigentlich ein Dorf – wenige Autominuten von der Innenstadt entfernt, und schon ist man auf dem Land. Für uns Kinder war Berlin damals nicht der Bahnhof Zoo mit Christiane F., sondern der Garten, ein Eldorado an Spielmöglichkeiten. Ja, wir waren Straßenkinder der besonderen Art: Garten und Straße waren eins! Ohne Unterschied. Straßenkinder mit Rückzugsort. Wir haben uns auch geprügelt, auch heftig – aber die Eltern gaben uns Jod (ei-wei-wei) – das war’s. Keiner ging zum Nachbarn, um sich zu beschweren.
Sie hieß Monika – und kam aus der Nachbarschaft. Wir hatten viel Spaß miteinander, heckten allerlei aus, rauchten heimlich, hatten Rollschuhe, fuhren mit dem Bambi-Rad durch die Straßen mit überschaubarem Spielgelände. Wir fingen Frösche am Nordgraben oder spielten Räuber und Gendarm in der nah gelegenen Bunkerruine und küssten uns dort, heimlich.
Monika kam, wann sie wollte – ich ging zu ihr, wann ich wollte. Wir brauchten keine Uhr, irgendwie hatten wir immer das richtige Zeitgefühl. Unser Garten lag mit der Zierseite nach vorne, der Gemüsegarten nach hinten, dahinter war ein Dungweg. Der Dung (Pferdemist!) wurde nicht durch den Vorgarten gefahren, sondern über den Dungweg. Über diesen Weg kamen wir auch zu den Freunden in die Gärten.
Im Herbst wurde das Laub in den Gärten verbrannt. Jeder tat das. Wohin sonst in der Großstadt? Kompostieranlage: Fehlanzeige. Wohin also mit den Gartenabfällen? Die kleinen Abfälle wurden kompostiert, die großen einfach verbrannt – beim Kartoffelfeuer.
Ein Kartoffelfeuer war eine Kartoffel-Feier – mit Stockbrot und Kartoffeln, in die Asche gelegt, gekocht, gebraten, den Duft durch die Nase gezogen, herausgeholt, abgewischt und gegessen (von wegen schälen!). Für uns Stadtkinder war das ein Ur-Genuss. Freunde kamen immer dazu, machten mit, wer keine Lust mehr hatte, ging einfach.
Beim Kartoffelfeuer musste natürlich Brennmaterial nachgelegt werden, mit der Gabel. Das mussten wir Kinder erledigen. Aber irgendwann war auch der schönste Spaß vorbei, die Kartoffeln waren aufgefuttert. Wir wollten weiter, rannten los. Ich rief nach meiner Freundin, sie rief zurück, aber sie kam nicht. Ungeduldig schrie ich. Sie aber blieb wie angewurzelt stehen, schaute mich etwas erschrocken an und schrie, dass sie im Augenblick nicht kommen könne. Sie fing also früh an, zickig zu werden, dachte ich. Sie war gerade im richtigen Alter.
Also ging ich zurück und fragte sie nach dem Grund. Aber sie schaute nur entsetzt an sich herunter, dann auf uns – und dann sahen wir, was passiert war: Sie hatte so fasziniert in die Flammen geschaut und sich dabei auf die Gabel gestützt, dass diese sich allmählich durch Schuh, Strumpf, Mittelfuß, Schuhsohle in den Boden gebohrt hatte – sie hatte sich am Kartoffelfeuer festgenagelt!
Und erst jetzt, als wir um sie herumstanden, fing sie endlich an zu schreien.
© Heinz-Dieter Brandt 2020-06-07