von Anne Eiling
Ich kämpfe mich mit hunderten, rot gekleideten Menschen voran. Mein gebasteltes Schild ‚Rettet den Hambacher Forst‘ schlägt mir vor mein linkes Schienbein und meine Gummistiefel quietschen auf dem nassen Waldboden. Meine Sicht wird verdeckt von unzähligen Plakaten, die in die Höhe gehalten werden. Die Presse steht gut positioniert an den Rändern des Protestzuges.
Eine Reporterin stürzt sich auf einen älteren Herrn. Der Mann könnte einen Professor abgeben, so intellektuell schaut er die Reporterin über seine Hornbrille an. Sie fragt ihn nach seinen Beweggründen, warum er sich hier durch den Wald quält?
Der Herr schiebt sich seine Brille zurecht und posaunt los: „Gute Frau, sie sollten wissen, dass wir hier alle für eine gute Sache durch den Modder laufen.“ Er hält ihr sein Plakat: ‚Rheinland wird Reinland‘, so dicht vor ihr Gesicht, dass sie einen Schritt zurückweichen muss. Mir ist nicht klar, ob der Mann vielleicht einer dieser angriffslustigen Aktivisten ist, die seit Jahren auf die Bäume klettern und tagelang dort oben hausen, um auf die Abholzung aufmerksam zu machen.
Die Reporterin lässt nicht locker und bringt ihn dazu, ihrem Sender mehr zu erzählen. Wir schauen ihn aufmunternd an, denn wir haben ein ehrwürdiges Opfer gefunden, welches sich traut vor laufender Kamera unsere Meinung zum Besten zu geben! Ein paar Umstehende winken grinsend. So schnell kommt man schließlich nie wieder ins Fernsehen. Der Alte krault sich den grauen Bart und er beginnt zu erklären, dass wir hier im Hambacher Forst für den Erhalt des Waldes kämpfen! Der Braunkohletagebau müsse gestoppt werden. Seit 1978 werden Hainbuchen und Stieleichen gefällt, sodass der Forst ehemals 5500 ha, bald nur noch 300 ha groß sein wird. Der Herr streckt sich zu seiner vollen Größe und es macht fast den Eindruck, als stände vor uns der leibhaftige Weihnachtsmann, welcher uns eine Strafpredigt hält bezüglich des Raubbaues.
Er erzählt, dass die Bäume nur dem Profit zum Opfer fallen, zudem noch12 streng geschützte Fledermausarten vom Aussterben bedroht sind. Erschrocken hebe ich meinen Kopf und suche die possierlichen Nachtschwärmer. Keines der Tiere ist zu entdecken, aber ich sehe sie förmlich vor dem geistigen Auge um meinen Kopf schwirren. Deshalb laufen wir ganz in Rot durch den Wald. Wir setzen ein Zeichen! Eine rote Linie entlang des Abbaugebietes als Warnung an unsere Politiker!
Der Alte schaut leicht erschöpft von seiner Rede in die Runde. Wir gucken erwartungsvoll auf die Reporterin, die wiederum schaut effekthaschend in die Kamera.
Ihre Stimme verhallt wie Gesumme in meinen Ohren. Inzwischen habe ich die Mütze vom Kopf genommen. Zu warm ist mir angesichts der vielen Menschen und den ermüdenden Gedanken, die mir durch den Kopf gehen. Können wir überhaupt noch etwas bewirken? Ist nicht längst alles entschieden? Ich stapfe weiter im Sog der Menschenkette, die sich wieder in Bewegung gesetzt hat. Hoffnungsvoll oder doch aussichtslos?
© Anne Eiling 2021-05-25