von Boris Brandt
Stehe in verwaschener, labbriger Sporthose in der Ringbahn. Am Körper klebt ein weiß-blau gestreiftes Shirt. Auf der Nase thront eine Sonnenbrille, die nicht mehr von Schräubchen zusammengehalten wird, sondern von zwei winzigen Stückchen Papiertaschentüchern. An den Füßen angedeutete Chucks für 20 Euro. Spargürteltreter der schlimmsten Sorte. Sie sehen angenehm gut aus. Ich sehe, wie ich es wieder öfter tue, in die Spiegel. Ringbahnfenster, verspiegelte Sonnenbrillen, Fahrradschutzbleche. Das Selbstvertrauen schleicht sich verstohlen zurück und das ist ein gutes Zeichen für einen Depressiven. Vor einer halben Stunde wurde ich nach sieben Wochen Klinik entlassen und kehre nun zurück ins Nest. In mein Zimmer, dieses 24 qm-Paradies, das im letzten Jahr zum Gedankensarkophag wurde. An der Hauptverkehrsstraße im Kiez ist die Spur stadtauswärts von einem nicht endenwollenden Strom von Radfahrern verstopft. Grüne Luftballons, einer von zwanzig mit Fahrradhelm, Rennradhipster, Downhillbären mit Tätowierungen am Hals, Radlerfamilien und Hippie-Girls mit Damenrädern aus den Siebzigern. Eine Radlerdemo.
Ich entscheide mich die viertel Stunde zu laufen und nicht auf den Bus zu warten. Wäre eh sinnlos. Als ich die Türe aufschließe, werde ich angebellt. Ich erschrecke kaum, wundere mich auch kaum, was komisch ist, denn eigentlich wohnt hier kein Hund. Ein pechschwarzer, dicker Labrador schleicht durch unseren Gang. Alle außer dem Hund freuen sich und wollen mich drücken, obwohl sie das sonst nie tun. Es fühlt sich seltsam an. Bevor meine spontanen, aber doch irgendwie routinierten Beschwichtigungssalven ihren Weg aus meinem Vorbewusstsein finden, muss ich kurz alleine sein und die Tür zu machen. Mein Zimmer riecht besser, als ich es erwartet hatte, sieht auch besser aus. Meine Wäsche liegt gefaltet auf Bett und Sofa. Die Post ist bemerkenswert unspektakulär und enthält nicht mal ansatzweise die Katastrophen, die ich erwartet hatte. Auch das Konto sieht zwar nicht gut, aber auch nicht desolat, wie befürchtet aus. Ich frage mich, wovor ich eigentlich Angst habe. Noch nicht mal ein Inkassoverfahren. Wie langweilig. Ödes Leben, schönes Leben. Ich beende die Rezension, die ich vor der Klinik anfing und verwende darin zu oft das Wort depressiv, was mir aber erst nach Veröffentlichung auffällt. Ich schreibe A, ob sie vorbeikommen will. Lösche die Nachricht aber sofort wieder. Zu spät. Sie antwortet schon. Generell gerne, aber sie sei so fertig vom Feiern, dass sie heute nicht könne. Man könne die Tage ja mal ein Bier trinken gehen. Wenn die wüsste. Wenn ich nur irgendwas wüsste.
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© Boris Brandt 2020-11-12