Ruf vom Lande

Sarah Vinkelau

von Sarah Vinkelau

Story

17.00 Uhr

Hannah und ich verließen gemeinsam das Büro. „Kommst du noch mit etwas essen bei Carlos?“, fragte sie. Carlos ist unser Lieblingsrestaurant in der Stadt und ich kann nie Nein sagen, wenn Hannah mich fragt. Dennoch schüttelte ich den Kopf. „Nein, tut mir leid. Ich muss ein paar Dinge klären und fahre zu meinen Eltern.“ „Na gut. Dann sehen wir uns morgen? Und du musst mir das nochmal erklären mit deiner Oma!“ In ihrem Blick konnte ich Enttäuschung sehen, trotzdem war das jetzt wichtig für mich. Ich nickte und umarmte sie nochmal, denn jetzt plagte mich doch das schlechte Gewissen. Aber sie zeigte mir ein Lächeln, das meine Gefühle ein bisschen besänftigte.

Im Anschluss stieg ich in mein Auto und machte mich auf den Weg zu meinen Eltern. Sie wohnten ungefähr eine halbe Stunde außerhalb von Erfurt. Sie haben schon immer das Landleben genossen und früher habe ich das auch. Ich würde alles dafür geben irgendwann wieder im Grünen zu leben, doch mein Job hält mich in der Stadt. Nach einer halben Stunde erreichte ich den kleinen Hof inmitten großer Wälder und weitreichenden Feldern. Die Reifen meines kleinen Minis ruckelten, während ich über das Schotter fuhr. Als ich die Tür öffnete, stieg mir unausweichlich der Geruch von Sommerblumen, Stroh und Pferdemist in die Nase. Meine Eltern besitzen einen kleinen Hof mit drei Pferden, einem Esel, einem Hund, ein paar Hühner und einer Katze, die man nicht wirklich oft zu Gesicht bekam, dennoch gehörte sie dazu. Ich ließ die Tür meines schwarzen Autos ins Schloss fallen und lief zur Terrassentür hinterm Haus. Rocky, unser Hund, kam mir entgegengelaufen und wedelte freudig mit seinem Schwanz. Ich wuschelte ihm durch sein goldenes Retriever Fell. Meine Eltern saßen, wie soll es auch anders sein, am großen Holztisch und tranken ein Glas Wein. Als sie mich sahen, sprang meine Mutter sofort aus ihrem Stuhl und fiel mir um den Hals. „Wie kommen wir denn zu so einer Ehre?“, scherzte mein Vater und setzte sein Glas nochmal an. Ich lächelte und nahm auf einen der Stühle Platz. „Ich muss mit euch über etwas Reden“, fing ich an und ließ mich zurück in den Stuhl fallen. Ich muss sagen, ich bin mir unsicher, wie ich das jetzt ansprechen soll. Schließlich hat mir meine Mutter früher schon immer gesagt, wie enttäuscht sie von ihrer Mutter ist. Ich könnte ein Buch von den Vorträgen und Moralpredigten schreiben, die sie mir gehalten hat. Immer wieder sagte sie, dass sie nie so sein wird wie ihre Mutter und mich niemals im Stich lassen würde. „Ist was passiert?“ Meine Mutter ließ ihren besorgten Blick nicht von mir ab. „Ja, irgendwie schon. Wisst ihr schon von Oma?“, fragte ich vorsichtig und wartete darauf, dass jemand etwas sagt. „Ja. Schon ein paar Wochen. Ich wurde angerufen von der Polizei.“ Jetzt war ich überrascht. „Wieso sagt ihr mir das nicht? Ich habe nämlich eine E-Mail von einem norwegischen Anwalt bekommen, in der stand ich hätte das Recht auf ein Erbe.“ Meine Eltern sahen mich genauso verdutzt an, wie ich sie.

© Sarah Vinkelau 2021-04-18

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