Mehr als 340 Sonnentage im Jahr – und davon, dass Zyprioten das Leben gern ruhig angehen, hatten wir auch gehört. So begaben wir uns auf die Reise unter dem Motto “Können wir uns vorstellen, auf Zypern zu leben?”
Bei unserer Landung sahen wir nichts von der Insel, nur die geschlossene, graue Wolkendecke. Auf dem Weg vom Flugzeug ins Flughafengebäude trafen uns Regentropfen.
Der Meerblick von der Terrasse unserer Unterkunft, der auf den Fotos blau gefunkelt hatte, verschwamm grau in grau mit dem Himmel.
Dann entdeckte mein Mann in dem Wohnkomplex neben unserem aufgerissene Wände und Fenster sowie Bauschutt auf den Terrassen. “Ja, da gab es in den letzten Tagen etwas Gebohre, aber jetzt scheint es vorbei zu sein”, kommentierte der Verwalter des Apartments unsere Bedenken.
Nach einem Frühstück in einem Lokal am nächsten Morgen, noch immer bei bewölktem Himmel, gab es am dritten Tag endlich Sonnenschein, blauen Himmel, blaufunkelnden Meerblick – na also! Enthusiastisch bereitete ich unser Frühstück vor, spannte den Sonnenschirm auf, platzierte beide Stühle in Meerblickposition. Kaum saßen wir, dröhnte der Terrassenboden unter uns und eine Wolke Betonstaub wehte mit diesem unverkennbaren Geruch auf unser Urlaubsfrühstück-Arrangement. Direkt im Gebäude hinter uns, nur wenige Meter entfernt wurde gepresslufthämmert. Wir verzogen uns rasch nach drin, der Lärm und der Staub waren unerträglich. Nur noch zwei weitere Male während unserer elf Tage auf Zypern frühstückten wir mit Meerblick, dann, als Presslufthammer und Kreuzhacke in dem von uns am weitesten entfernt liegenden Gebäude zugange waren.
Für unser Zypern-Abschlussessen hatten wir ein Restaurant mit georgischen Spezialitäten auserkoren. Das Restaurant lag an einer Straßenkreuzung, über die wir nur eine Stunde zuvor noch gefahren waren. Nun zeigten ein Umleitungsschild und eine rot-weiße Barriere an, dass die Kreuzung gesperrt war. Überall blendeten grelle Scheinwerfer. Schwere Maschinen waren dabei, an der einen Stelle den Asphalt aufzufräsen, anderswo eine neue Schicht Straßenbelag aufzubringen und diesen lautstark festzuwalzen – direkt vor den hübsch gedeckten Tischen der Restaurant-Terrasse. Wir konnten nur noch lachen, verzogen uns an einen Tisch im Lokal, der am weitesten von der Straße entfernt lag – und genossen die köstlichen Speisen.
Dass wir Zypern nicht mehr auf unserer Liste möglicher Auswanderungsziele führen, hat mit den geschilderten Erlebnissen übrigens nichts zu tun.
© Anja Voigt-Schraudolph 2022-05-16