Rum kucken in Stavanger

Jökull

von Jökull

Story

Als wir Kurs auf die Biskaya genommen hatten, war es Zeit für eine Rumverkostung. Der Chief hatte eine Flasche des Bacardi-Plagiats für drei Mark Duty-free beim Alten gekauft. Ich sitze an seinem Tisch, um Daten ins Maschinentagebuch einzutragen. Auch der Koch lässt sich sehen. Cucky meint, wir sollten den Rum nun testen. Unsere hohen Erwartungen werden nicht erfüllt. Ein Fehlkauf also.

Die Probierflasche landet wieder im Schrank. Wir lassen das Kap Finisterre an Steuerbord liegen. Mit flotter Fahrt durchqueren wir die Biskaya und drehen auf der Höhe der Ile d’Ouessant in den Ärmelkanal. Irgendwann tauchen vor der französischen Küste Lichter auf. Es sind die Kanalinseln Jersey, Guernsey und Alderney. Sie gehören nicht zum Vereinigten Königreich, sind aber der Krone unterstellt. Zwischen Calais und Dover kreuzen Autofähren und schnelle Luftkissenfahrzeuge von Hover Craft.

Unterwegs haben wir in Intervallen den gesamten weißem Rum aufgekauft und gehortet. Den gilt es nun vor dem Zugriff des norwegischen Zolls zu retten. Schließlich sollen die Flaschen für gutes Geld an durstige Wikinger verkauft werden. Zeit für letzte Vorbereitungen, um die hochprozentige Ware unsichtbar zu machen. Ein leerer Kartoffelsack und einige Meter Angelschnur dienen als Requisiten.

Den Stavangerfjord erreichen wir bei spiegelglatter See im Morgengrauen. Wir rufen ein Fischerboot heran und unser Koch begutachtet den Fang. Gegen eine Flasche weißen Rum reicht uns der Fischer einen prall gefüllten Korb lebender Krebse an Bord. Das nächste Abendessen verspricht außergewöhnlich zu werden.

Lange vor Schichtbeginn der Hafenarbeiter machen wir am Kai einer Bohrinselversorgungsfirma fest. Die Schicht der schwarzen Gang hat dagegen längst begonnen. In schwarzen Overalls steht mindestens ein halbes Dutzend Zöllner in Warteposition. Ein kurzer Besuch beim Kapitän, dann legen sie mit ihrer Arbeit los. Jede Kabine wird unter die Lupe genommen. Decken- und Wandverkleidungen werden abgeklopft oder aufgeschraubt, um die Hohlräume dahinter auszuleuchten. Das Gepäck wird geöffnet und Spinde und Schubladen inspiziert.

Im Maschinenraum suchen die Zöllner unter den Flurplatten und in Tanks. Das Vorschiff wird inspiziert, der Schornstein, das Rettungsboot und auch der Laderaum. Nach einer Unterredung beim Kapitän wird das Schiff schließlich zum Löschen freigegeben.

Einige Stunden später frühstücken die Hafenarbeiter auf einem riesigen Bulldozenreifen. Wir werden zunehmend nervös. In dem Hohlraum des Reifens liegt der Kartoffelsack. Den holt nun ein Besatzungsmitglied zur Sicherheit an Bord. Der Vorarbeiter wittert den Braten und geht wie von einem Magnet gezogen hinterher. Beim Chief wird die schon angebrochene Flasche für eine Probierrunde geopfert. Der Vorarbeiter überlegt nicht lange. Er kauft den ganzen Sack für einen aus unserer Sicht stattlichen Preis.

Es ist mir ein Rätsel, wie der Sack in den Reifen gelangt ist.

© Jökull 2021-04-02

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