Rund um das Theater in Reichenau an der Rax

Ulrike Sammer

von Ulrike Sammer

Story

Mein Mann und ich verbrachten in vielen Sommern ein paar Tage in Reichenau an der Rax während der Theater- Festspiele. Wir erlebten dort einige kulturelle Sternstunden. Die Stücke in diesem Theater fühlen sich dem „Fin de siecle“ besonders verbunden, dem allgemeinen Lebensgefühl kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Als wesentliches Merkmal gilt eine Untergangsstimmung, die sich in zahlreichen Werken jener Zeit ausmachen lässt. Bedingt wurde diese vor allem durch den nahenden Epochenwechsel. Diese Verfallsstimmung äußerte sich in einer pessimistischen Weltsicht, einem starken Lebensüberdruss, aber im gleichen Maße einer ausufernden Genusssucht.

Nicht nur die Theaterstücke, sondern ganz Reichenau und das Umland sind zum Teil wie aus der Zeit gefallen. Direkt neben dem Theater befindet sich der Kurpark. Er wurde1892 als ein besonderes Juwel vom Landschaftsgärtner Franz Erban angelegt. Der künstliche Teich mit der „Lenau –Insel“, die schattigen verschlungenen Parkwege, aber vor allem der 1903 erbaute, wunderbar geschnitzte Pavillon haben den Park zu einem beliebten Treffpunkt der damaligen Reichenauer Sommergesellschaft gemacht. Man begegnete Arthur Schnitzler, Felix Salten und Bertha von Suttner auf Parkbänken sitzend. Johann Nestroy, Gustav Mahler, Ferdinand Raimund, Peter Altenberg, Oskar Kokoschka, Franz Werfel, Sigmund Freud, Theodor Herzl, Heimito von Doderer, Karl Farkas, Ernst Fuchs, um nur einige zu nennen, lebten oder liebten hier und ließen sich von dieser wunderschönen Landschaft inspirieren. In einem Sommer präsentierte sich der Kurpark ganz besonders verträumt. In den Bäumen waren Überraschungen versteckt. Als wir uns ihnen näherten, begannen leise Stimmen schöne, literarische Texte zu raunen.

Während einiger Sommer machte sich ein Ensemble aus Wien die Chance zunutze, dass im Sommer besonders viele kulturinteressierte Menschen in Reichenau logierten. Sie mieteten sich im Kurheim Thalhof, unweit von Reichenau in einem besonders schönen Talschluss, ein. Das Haus hatte zwar keinen Theatersaal, aber eine stimmungsvolle Terrasse mit Blick in den Park. Hier hat Peter Altenberg elf Jahre lang seine Sommer verbracht. Das Kurheim war damals, als wir dort waren, wie in einen Dornröschen-Schlaf gefallen. Es sah aus, als ob es hundert Jahre nicht renoviert wurde. Heute ist es ein Apartmenthaus. Der Thalhof ist geschichtsträchtig und steht nun unter Denkmalschutz: er wurde 1652 erstmals als Landgut erwähnt. Im 19. Jahrhundert zählte er zu den besten Hotels in Europa. Er wurde zur Land- und Bergresidenz der Wiener-Ringstraßen-Gesellschaft und des Adels sowie zahlreicher Künstler und Literaten. Darunter auchSigmund Freud (der hier an “Die Traumdeutung” schrieb) und Arthur Schnitzler. Dieser hatte von 1886 bis zu ihrem Tod 1897 eine (angeblich platonische) Beziehung zur Wirtin Olga Waissnix, die für ihn sehr bedeutend war.

© Ulrike Sammer 2020-12-14

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