von Radnomadin
Mitten in den nordschwedischen Wäldern gibt der Freilauf den Geist auf. Das Rad klingt, als würde es gleich auseinanderfallen. Nach 50 qualvollen Kilometern taucht das verschlafene schwedisch-finnische Grenzstädtchen Pello auf.
Kurz vor der Grenze entdecke ich ein Häuschen mit: Zimmer zu vermieten! Ich trete ein und finde mich inmitten eines Kaffeekränzchens und 7 tollender junger Hunde. Ein kleines Zimmer steht für mich bereit, und die Bastu (Sauna) wird gleich für mich eingeheizt.
Lasse, der Hausherr, kennt einen Kumpel mit Werkstatt im finnischen Teil von Pello. und fährt mich und mein Rad die zehn km zu seinem Freund Veli.
Veli hat in seiner großen Rasenmäher-Reparaturwerkstatt laute Musik laufen, dazu telefoniert er in aller Ruhe, während wir in aller Ruhe stehen und warten. Schließlich wendet er sich Lasse zu, der ihm mein Problem auf Finnisch schildert. Veli baut die hintere Nabe aus, zerlegt sie, und heraus kullern lauter zerbröselte Kugeln aus dem kullager (Kugellager). Ein Wunder, dass ich überhaupt noch fahren konnte!
Ersatznabe hat er natürlich keine, passendes Werkzeug auch nicht. Er ist ja auf Rasenmäher spezialisiert. Aber Ruhe hat er. Und Geduld. So wie wir. und so setzt er sich hin und sucht aus seinem Sortiment passende Kugeln. Neljä (4) Millimeter schlage ich vor. Es sind aber viisi (5), verkündet Veli triumphierend. Wieso ich 4 Millimeter schätzte, möchte er über Lasse wissen. Weil ich auf Finnisch nur bis 4 zählen kann, lautet meine einfache Antwort, die ihn minutenlang erheitert.
Veli setzt jedes Kügelchen akriebisch ein, während er Lasse über meine Radreisen ausfragt (Multitasking). Der nächste Kunde kommt, setzt sich in Zeitlupe auf einen Kanister, wartet mit einer Zigarette und möchte auch die Geschichte hören. Dann gesellt sich er übernächste zu uns. In einer Runde von inzwischen sechs schweigenden Männern findet Veli irgendwann, dass er fertig ist und setzt das Hinterrad in den Rahmen ein. Jegliche Hilfe meinerseits lehnt er schmunzelnd ab: Pappa gör det (Papa macht das schon)! Am liebsten würde ich ihm ein Küsschen auf die Wange drücken, aber das traue ich mich nicht. Also lasse ich Pappa eine weitere halbe Stunde alle Speichen justieren, bis der Achter begradigt ist. Dann rät er mir, möglichst bald auf ein neues Hinterrad umzusteigen, der Freilauf funktioniert nämlich immer noch nicht. Bezahlen lässt sich Pappa übrigens gar nichts! Ich kaufe Wein und Kuchen, den wir Veli an die Tür hängen, denn der ist inzwischen mittagessen gegangen.
Am einfachsten ist wohl, wenn ich dich schnell nach Rovaniemi führe, findet Lasse. Fünf Minuten später rasen wir die 100 km nach Rovaniemi, bekommen vom Inhaber der Radgeschäftes innerhalb von 30 Sekunden das passende Hinterrad und fahren wieder zurück nach Pello, wo Lasse mir noch beim Reifenwechsel hilft. Seine Frau richtet inzwischen das Abendessen.
Der Mensch ist gut! Das bestätigt sich auf 20000 Kilometern rund um Europa immer wieder!
© Radnomadin 2019-04-11