von M L
In den tiefen, unberührten Westfjorden Islands, dort, wo das ungezähmte Meer mit donnerndem Grollen gegen die steilen Klippen brandet und die Nordlichter gleich flüsternden Geistern über den nächtlichen Himmel gleiten, begann einst unsere Geschichte. Es war das 18. Jahrhundert, eine Ära, in der die alten Sagen und Mythen noch fest im Herzen der Isländer verwurzelt waren und das Übernatürliche so greifbar schien wie der kalte Felsboden unter ihren Füßen.
Triigvij, ein einsamer Fischer dessen Seele so rau und unergründlich war wie das Meer, auf dem er fischte, trug das Vermächtnis einer Familie, die seit Generationen mit den Geheimnissen der See verbunden war. Sein Leben war geprägt von der Einsamkeit der Wellen und dem Flüstern der Winde, die Geschichten vergangener Zeiten zu ihm trugen. Er kannte jeden Winkel der Westfjorde, jede Bucht und jeden Pfad, doch sein Herz blieb ein verschlossener Schrein, gefüllt mit Rätseln seiner Ahnen. Lorína hingegen, die Tochter eines hoch angesehenen Priesters, war geprägt von einer tiefen Sehnsucht nach Erkenntnis, die weit über das Wissen ihres Vaters, des Priesters, hinausging, fühlte sich magisch angezogen von den Schatten des Unbekannten. Ihre Tage verbrachte sie mit dem Studium alter Schriften und den Legenden Islands, deren Echo in den Hallen ihrer Heimat widerhallte. Doch es war der Wald der Westfjorde, der sie am meisten faszinierte – ein Ort, so dicht und geheimnisvoll, dass er als Tor zu einer anderen Welt galt.
In einer Nacht, in der die Nordlichter besonders lebhaft am Himmel tanzten, entschied sich Lorína, dem Ruf des Waldes zu folgen. Die grünen und violetten Schleier am Himmel schienen sie zu leiten, flüsterten von einem Schicksal, das jenseits der Sterne geschrieben stand. Es war, als ob die Lichter selbst ein Muster webten, das sie zu ihrem dunklen Schicksal führte. Triigvij, der an diesem Abend am Rand des Waldes stand, um dem himmlischen Schauspiel beizuwohnen, spürte eine Veränderung in der Luft. Es war mehr als das Flüstern der Gezeiten – es war eine Präsenz, so vertraut und doch unerklärlich. Als er Lorína erblickte, wie sie zögerlich den Rand des Waldes erreichte, erkannte er in ihren Augen ein Spiegelbild seiner eigenen Suche nach Antworten. Ihre Begegnung war nicht von Worten geprägt, sondern von einem tiefen, unmittelbaren Verständnis. Es war, als ob das Universum selbst sie zusammengeführt hatte, um eine Lücke im Gewebe der Zeit zu schließen. Die Nordlichter über ihnen schienen heller zu strahlen, als Lorína und Triigvij einander näher kamen, ihre Schicksale unwiderruflich miteinander verwoben. In diesem Augenblick, unter dem Zauber der Lichter und dem Schatten des alten Waldes, erkannten sie eine Wahrheit, die tiefer ging als jede Sage oder Legende. Ein Band, gefestigt durch das mystische Licht der Nordlichter, verband ihre Herzen – ein Band, so stark und unzerbrechlich wie das uralte Land, das sie beherbergte. Doch aus den Schatten heraus begann eine finstere Bedrohung zu lauern, älter und dunkler als die urtümlichen Landschaften Islands.
© M L 2024-03-05