Salzburg Hbf – Marmorsaal

Klaus Schedler

von Klaus Schedler

Story

Juli 1974. Ankunft in Salzburg um etwa 12:30. Anschluss nach Wien um 14:30. Nun als Student nach 16 Jahren, betrat ich wieder Salzburger Boden. Da, ein Hinweis zur Bahnhofsrestauration. Naja, reinschauen kann ich ja mal, doch der erste Blick sagte mir, mir das nicht leisten zu können: Ein großer, heller, hoher Speisesaal mit weiß gedeckten Tischen, roten Marmorsäulen in einer angenehmen Atmosphäre. Ich ging wieder hinaus und warf einen Blick auf die Speisekarte: Nicht reichhaltig aber gut – und eigentlich auch für mich zu annehmbaren Preisen.

Ich ging also wieder hinein und wurde trotz meines Alters und Jeans höflich vom Kellner begrüßt. Schon beim Betreten des „Marmorsaals“ meinte ich, in eine andere Zeitzone geraten zu sein. Alles erschien mir auf die Periode der Zwischenkriegszeit abgestimmt: An der Wand zur Linken ein leise plätschernder Springbrunnen, ebenfalls aus rotem Marmor und darüber drei Putti. An der Wand gegenüber zwei Theatermasken. Im Hintergrund leise Opernklassiker im Arrangement für sog. Salonorchester – Alles strahlte eine unaufdringliche Ruhe aus, die ich gleichsam in mich aufsog. Bisweilen sah man aus einem großen Fenster einen am Mittelbahnseig eingefahrenen Fernzug. Die Zeit war mir wie im Flug vergangen, weil es eben so vieles zu sehen gab und auch jeder Gast schien mir mit seiner eigenen, ganz besonderen Geschichte den Marmorsaal betreten zu haben. Und da kam schon die Durchsage, mein Zug nach Wien sei bereitgestellt worden. Ich zahlte und bedauerte, das Lokal verlassen zu müssen.

Kein Abschied für immer. Beruflich hatte ich später häufig in Salzburg zu tun und auch wenn ich umsteigen musste, habe ich gern die Gelegenheit genutzt, im Marmorsaal vorbeizuschauen. Tatsächlich gelang es den Betreibern lange, in immer unruhiger werdenden Zeiten diese spezielle, auf ihre Art besondere Anmut ausstrahlende Atmosphäre aufrecht zu erhalten.

Dann aber, etwa Mitte der 90er, erfasste die zunehmende Verwahrlosung des Bahnhofs auch das Restaurant. Es änderte seinen Namen und mir erschien es schlagartig so, als habe das Ambiente seine ursprüngliche Authentizität verloren. Damit verlor auch ich jegliche Freude an der zuvor lieb gewordenen „Re-stauration“, denn genau so und nicht anders wollte ich den Marmorsaal in Erinnerung behalten.

Der Saal wurde 2009 abgerissen und noch über mehrere Monate sah ich bei Aufenthalten wehmütig den riesigen Leuchter im Schutt des Gebäudes am Mittelbahnsteig herumliegen. Schade, aber wer fragt heute nach den Menschen, die die Symbole ihrer Erinnerung in einem Winkel ihres Herzens erhalten wissen wollen.

Dann, ich war schon länger in Pension, las ich, dass der in Einzelteilen erhalten gebliebene Saal 2017 im Müllnerbräu neu errichtet worden wäre. Ich kenn und schätze das Lokal, doch verspüre ich keine Lust, den Saal wiederzusehen, weil ich glaube, dass meine Erinnerung schöner ist, als jede noch so sorgfältig nachgebildete Architektur.

© Klaus Schedler 2019-10-28

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