Samira kommt zu spät

Samira ist seit Stunden wach und sitzt fix und fertig angezogen im Flur, ihren neuen Dino-Ranzen an sich gedrückt. Ihre Mutter erklärt ihr gefühlt zum tausendsten Mal, dass die Schule erst um acht beginnt, nicht um sechs. Auch Frau Kaiser, ihre Begleitung, wird nicht früher am Schultor auf Samira warten. Als ihre Mutter um halb 8 in den Flur kommt, findet sie ihre Tochter schlafend an die Haustür gelehnt. Und jetzt rennt beiden die Zeit davon. Samira muss unbedingt noch was frühstücken und Zähne putzen und ihre Mutter sucht schließlich kurz vor Abfahrt noch ihren Hausschlüssel. Als beide endlich an der Schule ankommen, ist es bereits nach 8 und Frau Kaiser wartet sichtlich nervös am Tor. Nur gut, dass sich die beiden schon aus der anderen Schule kennen. Jetzt müssen sie nur noch das richtige Klassenzimmer finden.

In der 3 c herrscht gespannte Stille, alle Augen sind auf die Tür gerichtet. „Wo ist die denn jetzt?“, zischt Theo seinem Kumpel Marvin zu. Frau Urban bleibt wie immer locker und versucht, mit dem Unterricht anzufangen. Da klopft es und ohne auf ein Herein zu warten, stürmt Samira in die Klasse, um gleich darauf über einen Stuhl zu stolpern. Im nächsten Moment ist Frau Kaiser zur Stelle, die mit hochrotem Kopf versucht, Samira wieder auf die Beine zu helfen. „Sorry“, murmelt sie noch in die Runde, da ist Frau Urban auch schon aufgestanden und fordert Samira auf, zu ihnen in den Stuhlkreis zu kommen. Theo, der wie immer dicht an Frau Urbans Seite sitzt, muss notgedrungen ein bisschen rücken. „So, liebe 3 c. Das ist also Samira. Wir freuen uns, dass sie ab heute in unserer Klasse ist. Ich bitte euch alle, ihr ein bisschen zu helfen, damit sie sich gut eingewöhnt.“ Samira strahlt über das ganze Gesicht und brabbelt unverständliche Worte, die Frau Kaiser mit „Samira freut sich auch ganz doll“ übersetzt. Theo ist entsetzt. Er kann es kaum erwarten, bis die Pause beginnt, dann kann er Marvin endlich sagen, dass diese Bekloppte ja in echt noch viel schlimmer ist als gedacht und dass die unmöglich in ihrer Klasse bleiben kann. Und überhaupt: der Ranzen ist ja wohl für Babies.

Als er und Marvin endlich in ihrem Geheimgebüsch hocken, legt er los. „Mensch, haste die gesehen? Erst kommt die zu spät, dann fällt die wie so ein Baby hin und labert komisches Zeug. Hast du verstanden, was die gesagt hat?“ Marvin ist mit seinem Pausenbrot beschäftigt und murmelt mit vollen Backen: „Nee, kein bisschen.“ Theo stänkert weiter: „Und dann Frau Urban so, dass wir der helfen sollen. Die ist doch einfach nur bekloppt. Ich will, dass die wieder geht.“ Er stupst Marvin in die Seite und deutet auf Samira, die gerade laut heulend mit Frau Kaiser an der Schaukel steht. Seinen Freund scheint das nicht so doll zu interessieren, denn der will auf einmal wissen, wie Theos Ferien diesmal gewesen sind, so ohne Verreisen. Theo fällt ihm sofort ins Wort: „Das ist doch jetzt egal. Ich hab gedacht, heute wird mein Glückstag, weil die Urban was Tolles zu erzählen hat. Und was ist? Wir haben als einzige Klasse der ganzen Schule eine Bekloppte! Die sogar noch ihren Babysitter mitbringt. Nee, das geht gar nicht.“ Marvin schaut seinen Kumpel fragend an: „Und? Was willste jetzt machen gegen die?“ Theo schaut Marvin und sagt: „Da fällt mir schon was ein.“