von Irene Hülsermann
Mein Trip durch Italien dauerte nunmehr drei Wochen und nochmal drei hatte ich weiterhin zur Verfügung. Bisher wusste ich nicht, wie weit ich es bis in den Süden schaffen würde. Möglicherweise wäre sogar mein Geld vorzeitig aufgebraucht. Um ein wenig einzusparen, rief ich letzten Endes den Freund des Lebensgefährten meiner Schwester an.
Schon am Telefon war mir klar, dass er nicht begeistert davon war, mich ein paar Tage zu bewirten. Ein Blick in den Geldbeutel ließ mir aber keine andere Wahl. Folglich fuhr ich mit dem Zug bis Impruneta. Dort stieg ich in den Bus, der mich in die Nähe der Adresse brachte und lief den Rest zu Fuß. Als ich an der Abzweigung zu seinem Landhaus kam, verschlug es mir fast die Sprache: Eine mit Zypressen gesäumte Allee schlängelte sich einen typischen toskanischen Hügel hinauf und oben thronte ein atemberaubendes Landhaus. Der Besitzer dieser Perle, Stefan aus Deutschland, war Lehrer und unterrichtete in Florenz.
Bei meinem Eintreffen musterte er mich von oben bis unten. Mir wurde klar, leicht würde ich es nicht haben. Er zeigt mir mein Zimmer, Platz genug hatte er ja, auch wenn er einige Räume untervermietet hatte. Ich ließ mich nicht von seinen Blicken irritieren.
Den nächsten verbrachte ich erst einmal in der näheren Umgebung, es gab soviel zu entdecken. Auf dem Rückweg kaufte ich im Dorf ein und überraschte Stefan mit einem leckeren von mir gekochten Essen. Damit hatte er gar nicht gerechnet. Der Abend verlief ausgesprochen harmonisch zwischen uns, denn wir hatten ähnliche Interessen und lachten ständig. Langsam wurde Stefan zutraulicher. Er unterbreitete mir den Vorschlag, mich am nächsten Tag mit dem Auto nach Florenz mitzunehmen. Ich willigte ein und lud ihn spontan zu einem gemeinsamen Abendessen in die Stadt ein. Er sagte tatsächlich zu. Nach einem eindrucksvollen Tag bei schönstem Frühlingswetter, den ich genoss, trafen wir uns an der Ponte Vecchio und er zeigte mir eine kleine Trattoria, in der wir vorzüglich aßen. Der Abend verlief abermals harmonisch. Wir lachten ständig und es gab keine Spur mehr von irgendwelchen Differenzen.
Als wir am Landhaus ankamen, versuchte mich Stefan zu küssen. Und da lag das Problem. Selbst wenn wir angenehme gemeinsame Tage verbracht hatten, hatte ich mich nicht in ihn verliebt. Ich kam erst aus einer fünf-jährigen unglücklichen Beziehung und wollte auf keinen Fall eine neue. Etwas beleidigt trottete Stefan zu Bett und ich lag noch stundenlang wach: Warum nur konnte ich mich nicht wenigstens ein klitzekleines bisschen verknallen? Mein Traum war immer schon in Italien zu leben und dieses eindrucksvolle Haus mitten in der Toscana. „Warum verliebe ich mich stets in die Falschen?“, fragte ich mich in der Nacht. Die Antwort bekam ich erst zehn Jahre später, als ich den Richtigen fand.
© Irene Hülsermann 2021-03-13