Schaukelbaum

koll_ika

von koll_ika

Story

Das Kribbeln im Bauch, sobald die Füße den Boden verließen, das Ziehen direkt hinter dem Bauchnabel während des Schwunges, dann der kurze Moment des Verharrens und schließlich das erneute Sausen in den Ohren beim Zurückschwingen. Keine zehn Sekunden dauerte dieses Vergnügen. Dann nochmal und nochmal und nach (streng mitgezählten) zwanzig Mal musste die Schaukel für das nächste Geschwisterchen in der (selbstverständlich vorher ausgelosten) Reihe freigegeben werden.

Den perfekten Baum hatten wir schnell ausfindig gemacht. Groß und mächtig, fast magisch, ragte er in die Höhe neben vielen anderen Bäumen des Waldes, der den Bergrücken säumte. Der Baum – wir nannten ihn Schaukelbaum – stand am Steilhang gleich etwas oberhalb des Waldweges direkt am Waldrand. Durch seine besondere Lage am Hang konnten wir in einem schönen Halbkreis an seiner Vorderseite herumschwingen. Von rechts nach links und wieder zurück. Rechts konnte man sich gut von einer eingetretenen Stelle am Hang abstoßen, links auf einer seiner zahlreichen Wurzeln landen, sich erneut kräftig abstoßen und zurück zur eingetretenen Stelle schwingen (so sah der Idealfall aus). Ein Holzbrettchen diente als Sitz, das dicke Seil wurde hindurchgefädelt und am Schaukelbaum hoch oben festgemacht. Damit sich niemand verletzte, trugen uns Mama und Papa auf, zunächst kleinere Schwünge und nicht gleich den Halbkreis zu üben. Dann ging jedes Mal die Diskutiererei los: Wer durfte dieses Mal anfangen?

Ich erinnere mich noch gut an mein erstes Mal auf der Schaukel: Nervös und aufgeregt setzte ich mich dem Schaukelbaum zugewandt auf das Holzbrettchen und stieß mich zunächst nur vorsichtig und dann immer kräftiger an der gleichen Stelle vom Hang ab. Das nächste Mal traute ich mir schon kleinere Schwünge von rechts nach links zu. Es dauerte dann doch noch eine Weile, bis wir alle das richtige Gefühl für unsere Baumschaukel entwickelt hatten, zumal immer nur eine/r von uns schaukeln konnte. Jede/r durfte exakt 20 Mal von der eingetretenen Stelle (rechts) zur Wurzel (links) und wieder zurück schaukeln, dann wurde gewechselt. Da wurde natürlich genauestens mitgezählt. Gelang ein Schwung mal nicht – manchmal landete man verdreht mit dem Rücken auf der Wurzel (sehr schmerzhaft) oder musste während des Schwunges abspringen (sehr unelegant) – hatte man einfach Pech gehabt, denn er zählte trotzdem, egal, ob verpatzt oder nicht.

Den Schaukelbaum gibt es übrigens heute noch. Immer noch steht er unerschütterlich und mächtig auf seinem paradiesischen Platz am Waldrand. Auch wenn die Schaukel an sich bereits längst abmontiert wurde, strahlt er immer noch seine unendliche Magie aus und erinnert uns an die fliegende Leichtigkeit, das freie Unbeschwert-Sein und unsere wunderschöne, glückliche Kindheit.

Foto: unsplash.com

© koll_ika 2021-04-18

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