Wir leben in interessanten Zeiten. Diese 20er Jahre haben es durchaus in sich, und da sie ja erst begonnen haben, ist noch einiges zu erwarten. Egal wie, aber spannend ist es und wird es auch bleiben, um sich einmal auf einen neutralen Beobachterposten zurückzuziehen, was natürlich Selbstbetrug ist, denn ob man will oder nicht, ist man immer mitten drin im Geschehen.
Vielfach wurden schon Vergleiche gezogen mit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, den berühmt-berüchtigten Roaring Twenties, wo einem sofort Bilder vom wilden Berlin in den Sinn kommen, Frauen mit Bubikopf, Charlestonkleidern und Zigarettenspitze in den Rauchschwaden einer Bar, während im Hintergrund sich schon wieder Männer zu Kampftruppen formieren, als wäre es noch nicht genug gewesen.
Und geht man ein weiteres Jahrhundert zurück, so zeigt sich ein Bild, das den beiden darauffolgenden 20er Jahren trotz allem irgendwie ähnelt. Da landet man nämlich in der Biedermeierzeit. Ach, das wunderbare Biedermeier, so wird man denken! Schöne Möbel, der Schubert Franzl geht in Grinzing spazieren, und die Welt sieht aus wie auf den Bildern von Spitzweg und Waldmüller. Aber der Mythos vom Rückzug ins Private, den wir ja heute auch nur zu gerne anträten, täuscht über vieles hinweg.
Die Biedermeierzeit war eine arme Zeit, denn die napoleonischen Kriege hatten nicht nur die ganze Weltordnung Europas auf den Kopf gestellt – ja so kann man es wohl nennen, denn Europa sah sich damals als die Welt und in gewisser Weise war es auch so – sondern auch viele Zerstörungen hinterlassen. Die Restauration konnte den Schein dann zwar noch fast 100 Jahre weitertragen, aber Veränderungen lassen sich nicht rückgängig machen.
Da der Mensch sich aber schwer von – vermeintlich – besseren Zeiten verabschiedet und oft krampfhaft versucht, den alten Glanz wiederzubeleben, während andere in den Wirren der Zeit einen gewissen Aufstieg erreicht hatten oder vortäuschen wollten, behalf sich die Biedermeierzeit mit etwas schönem Schein und erfand das Schaumgold, gewissermaßen die Grundidee des Modeschmucks, der 100 Jahre später seine erste Hochblüte erlebte.
Schaumgold sieht aus wie Gold und es ist auch tatsächlich Gold, aber eben nur ein sehr oberflächliches. Man walzt Gold zu dünnem Blech aus und stellt daraus opulent wirkende Schmuckstücke her, aber der Goldanteil ist gering und innen sind sie mit Kitt gefüllt, um halbwegs die Form zu halten. Manche von uns werden solche Stücke, meist üppige Broschen oder Anhänger, die heute niemand mehr tragen würde, in ererbten Schmuckschatullen finden, aber oft weisen diese Stücke verräterische Dellen auf, denn wenn man damit gröber anstößt, hinterlässt das irreparable Spuren. Man müsste das Schmuckstück komplett zerlegen, um das dünne Goldblech von innen ausklopfen zu können, aber das ist den Aufwand nicht wert. Und auf der Rückseite bleibt immer das kleine Loch, wo der Kitt eingefüllt wurde. Der schöne Schein hat halt auch so seine Schwächen.
© 2022-12-14