Scherbenfinder

Luna Winkler

von Luna Winkler

Story

Da liegt sie nun. Einsam. Verlassen. Mit verdreckten Krusten als ihre Haut.

Als er sie aufhebt, befleckt ihr Schmutz auch seine Hand. Er stört sich nicht daran. Er ist ein Wanderer. Keiner, der die Weite suchte, eher einer, den die Ferne rief. Er ist es gewohnt. Den Dreck unter den Nägeln. Das Blut an den Fingern. Er stört sich nicht daran. Ihm gefällt das Absurde. Das Komische. All das Unerklärliche. Er sucht es. Meistens wird er fündig. Aber die Schätze, die er nachhause bringt, sie bringen ihm wenig Ruhm ein.

Andere finden per Zufall Gold. Andere stoßen auf eine Silberader. Er spielt mit dem Dreck in seinen Händen und all das, was sich unter seinem schützenden Mantel verbirgt. Auch heute. Heute ist ein guter Tag zum im Dreck spielen, wie er findet. Heute glänzt das Wasser so schön. Heute ist der Fluss leiser, heute wühlt er den schlammigen Untergrund weniger auf als sonst. Für ihn ist heute ein Glückstag.

Er war nicht mit besonders hohen Erwartungen aus dem Haus gegangen. Nur mit den üblichen Seufzern im Gehörgang und Blicken im Rücken. Er lief denselben Weg wie seit Jahren. Vorbei am Garten, den Pfad hinunter, bis zum Ufer. Dort kniete er sich auf den Boden und starrte ins Wasser. Wartete. Auf das ein besonderer Augenblick vorbeifloss und er in dem Schlamm neben seinem schon feuchtnassen Hosenbein griff, sie hochzog. Die Handvoll Dreck, die Handvoll wässriger Erde. Erst, wenn sie aufgehört hatte zu tropfen, öffnete er sie. Es sollte eine Überraschung sein, das, nach dem er instinktiv, ohne zu Wissen gegriffen hatte.

Manchmal fand er einen Krebs. Meistens aber nur einen Teil von ihm. Eine seiner Scheren zum Beispiel. Oder aus dem Schlamm kristallisierte sich ein StĂĽck Seil heraus. Der Rest lag oft noch im Fluss oder unter der Erde begraben. Dann legte er es wieder so hin, wie er es gefunden hat. Die letzten Male hatte er immer etwas anderes entdeckt. Eine lose Bierdosenlasche, oder ein altes Feuerzeug oder dergleichen. Etwas besonderes. Etwas absurd lustiges. Etwas erheiterndes.

Als er heute seine Finger zu einer Schale formt, ist da nichts. Und obwohl er es fühlt, sieht er es nicht. Es ist ein besonders großer Klumpen Dreck heute. Vielleicht erkennt er deswegen nichts. Vielleicht will es nicht erkannt werden, das, was da verborgen liegt. Er steht auf. Läuft nachhause.

Als er seine Hände waschen will, fällt es ihm auf. Fällt sie ihm auf. Als der Dreck, den er zuvor noch behutsam nachhause getragen hat, gluckernd im Abfluss verschwindet und das Spülbecken braun färbt, sticht sie ihm ins Auge. Die Scherbe. Schüchtern. Traurig. Blind, von all dem Schmutz. Ihre Kanten, sind scharf, und doch versucht er es. Putzt sie. Verletzt sich. Aber er ist Blut an den Händen gewohnt. Er wäscht es mitsamt dem Schlamm weg. Da liegt sie nun. Glänzend. Lächelnd.

Er beginnt sie zu schleifen. StĂĽck fĂĽr StĂĽck. Sodass er sie immer bei sich tragen kann. Ohne sich zu verletzen. Er, der einsame Scherbenfinder. Sie, die Gefundene. Die fehlende Scherbe seines Herzens.

© Luna Winkler 2022-04-28

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