Schiff im Sturm

MISERANDVS

von MISERANDVS

Story

Mit brüllender Wut zerrt der Sturmwind mit salzigem Odem an den Segeln, die nur noch Fetzen sind. Knarzend will die Takelage brechen, wollen Seil und Tau zerreißen, ächzend wollen Balken bersten. Schäumende Gischt, die von Luv nach Lee über mein Schiff hereinbricht, es wie Spielzeug auf den Wellen hin und her wirft. In der Kombüse scheppern die riesigen Töpfe an ihren Haken, dumpf-düster wie ferne Kirchenglocken. Noch hält die Ankerkette, noch liegt es am Platz; gespannte Blicke aus weit aufgerissenen Augen, in denen das Salzwasser brennt. Welches Glied wird wohl das schwächste sein?

Neptunius sticht mit seinem Dreizack, den er mit beiden Armen führt, in die aufgewühlte See. Längseits fahren die Lanzen am Rumpf vorbei in die Tiefe, tauchen stahlglühend in den steinernen Meeresgrund, bringen das Wasser brodelnd zum kochen. Der Klabautermann hockt lachend auf der Kiste. Was für ein Ritt! Was für ein Ritt!

Salzkrustene Finger, wie Leder gegerbt, furchig zerschlissen, krallen sich an die Reling. Arme umschlingen, Hoffnung und Schutz suchend, wie Kinder ihrer Mutter Bein,den knarzenden Mast. Selbst die Tapferen lernen das Beten beim Kotzen. Der Pfaffe versucht, den Sturmwind mit Worten aus seiner pitschnassen Bibel zu überschreien. Wer kann schon die Botschaft des Herrn klar entziffern, wenn der Regen die Buchstaben aus Tinte blassgrau verwischt!

Wehmütig wende ich den Blick nach hinten. Gestern, du schöner, sicherer Hafen, du Zuflucht, wie liegst du in Feuer und Trümmern! Das Klagen der Weiber, das Weinen der Mütter, das Sterben der Alten – kein Sturm dieser Welt vermag ihr Geschrei zu ersticken. “Gestern.”, seufze ich wehmütig: “Gestern.”

Was nun? Im Heute verharren und den Sturm aussitzen, hoffen, dass die alten Kettenglieder halten? Oder das Bisschen Tuch riskieren und voran, durch den Wind ins Morgen, dem Glück vertrauen und auf unbekannte, goldene Ufer hoffen? “Kapitän!“, schreien die Männer und fordern eine Entscheidung. Schwer lasten meine Hände am Ruder, schwer wiegt die Entscheidung. Im Hafen versinken? Auf See mit Mann und Maus ersaufen?

Schon steigt Neptunius eneut aus den Wellen, zornfunkelnden Auges nimmt er wieder Ziel.

Auf See bist du in Gottes Hand. Also vielleicht dem Pfaffen beim Beten helfen und hoffen, gemeinsam das Vaterunser aus der Erinnerung zusammenzukriegend, Salzwasser saufend, dass der Herr uns errette?

Das Morgen voraus ist vielleicht auch nur ein anderes Gestern. Das Gestern im Rücken kann immer noch ein neues Morgen werden. “Kapitän!”, brüllen die Männer.

„Wir bleiben!“ Und ich hoffe, dass der Sturm sich verzieht, dass Neptunius sich beruhigt, und dass sich zwischen Schutt und Asche genug heile Ziegel finden für ein neues Fundament im Hafen. Voraus liegt die Nacht, die Dunkelheit, die Müdigkeit in den Knochen und die Kälte in den Gliedern.

Ich bleibe, wenn es geht. Ich fahre, wenn die Kette reißt. Und ich ersaufe, wenn das Schiff sinkt. Im wütenden Sturm ist mir alles gleich recht.

© MISERANDVS 2022-03-10

Hashtags