Schiffe haben eine Seele

Emma Breuninger

von Emma Breuninger

Story

Schiffe haben eine Persönlichkeit, ja, sie haben eine Seele. Jeder, der einmal auf einem Schiff gefahren ist, wird dies bestätigen können.

Sprachlich gesehen ist „das Schiff“ ein Neutrum, auch im Englischen. The ship = it – dennoch ist ein Schiff im Englischen „she“ = sie – also weiblich. Man sagt „die Titanic“, „die Queen Mary“, die „Ivan Franko“. Diese Tradition, ein Schiff als weibliches Wesen anzusehen, existiert schon seit langer Zeit. Selbst von Schiffen mit männlichen Namen spricht man von „ihr“.

Schiffe werden – wie kleine Kinder – getauft. Schiffe haben einen Taufpaten, eine Taufpatin.

Getauft wurden die Schiffe meist direkt vor dem Stapellauf, d.h. unmittelbar, bevor sie „in das Leben hinausgehen“. Diese Tradition hat sich allerdings weitgehend geändert. Heute fahren die Schiffe schon einige Zeit über Meere oder Flüsse und werden erst dann getauft, ähnlich wie wir auch unsere Kinder nicht mehr gleich nach der Geburt, sondern erst nach ein paar Monaten taufen lassen.

Warum sind Schiffe weiblich? Ist für die Seeleute das Meer eine Mätresse und all die Schiffe sind der Seeleute Haut, mit der sie das Meer streicheln?

Ein Schiff kämpft sich – so ganz selbstverständlich – durch Sturm, Wind und Wellen und schützt dabei die ihm anvertrauten Menschen. Aber nicht immer gehorcht es den Befehlen des Kapitäns, tut manchmal einfach, was es will. Kapriziös eben, zickig.

Alle Menschen, die auf einem Schiff fahren, sind im wahrsten Sinne des Wortes „im gleichen Boot“ – sie sind eine Schicksalsgemeinschaft. Geschieht dem Schiff etwas draußen auf dem weiten Meer, so wird ihnen allen das gleiche Schicksal zuteil.

Die Menschen auf einem Schiff fühlen sich mit diesem, „ihrem“ Schiff verbunden, sie fühlen sich geborgen auf und in diesem Schiff. Im Inneren des Schiffes ist es fast so wie wir es in der Zeit vor unserer Geburt erlebt haben. Wir werden getragen von diesem Schiff, werden ständig irgendwohin transportiert und es schläft sich so herrlich im Inneren eines Schiffes, leicht wiegen uns seine Bewegungen in den Schlaf, einen gesunden Schlaf, fast so wie im mütterlichen Bauch, umgeben vom Fruchtwasser und geschützt und behütet. Selbst im Schutze eines Hafens wiegt sich ein Schiff ständig leicht hin und her. Ist es die unbewusste Erinnerung an eine Zeit, in der wir so gut behütet waren?

Wenn wir „unser“ Schiff im Hafen erblicken, freuen wir uns. Wir betreten das Schiff und fühlen uns zu Hause. Das Schiff ist Freund, Kamerad, Schicksalsgefährte. Es wird zu einem Teil von uns.

Foto: Emma Breuninger

© Emma Breuninger 2020-06-17

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