Schmerz

Lu Sahnig

von Lu Sahnig

Story

Nachdrücklicher wiederholte er: „Aber ich kann es doch für dich probieren! Ich würde es versuchen! Dann musst du nicht auf deine Erregung verzichten und zugleich auch nicht auf uns.“

Ein mildes Lächeln umspielte ihre Lippen.

„Danke, dass du diese Mühen auf dich nehmen würdest. Es erfüllt nur nicht seinen Zweck, wenn du nichts dabei fühlst. Glaub mir. Du wärst nicht der Erste, mit dem ich diesen Versuch wagen würde. Diese Neigung ist ein Fluch. Sie zu kennen und auszuleben, ein Segen. An manchen Tagen da fühlt es sich so an, als ob ich mit meiner Neigung verheiratet wäre und um ehrlich zu sein, macht mir das große Sorgen. Doch sie ist ein Bedürfnis wie Schlafen oder Essen. Von dir würde ich es nicht bekommen.“

Er ballte die Hände zu Fäusten. Wehrte sich noch weiter gegen die schmerzhafte Ablehnung.

„Ich wünschte, sie wäre nicht da. Ich wünschte, ich müsste nicht auf sie achten, wenn ich dabei bin mich zu verlieben. Ich wünschte, das Klicken würde genügen und alles ginge gut. Nur muss ich sie beachten. Jedes Mal, wenn ich dabei bin, mich zu verlieben. Und das ist Schmerz und nochmal, ich hasse alles daran.“

Sie tat noch einen Schritt zurück. Die Fassungslosigkeit in seinen sonst so leuchtenden Augen tat ihr so unendlich leid.

„Ella“, hauchte er ihren Namen, als wäre es die Bezeichnung für den Schmerz, den er gerade erlitt. Er schien sich noch stärker gegen diesen Zustand stemmen zu wollen. So stark, dass die Verletzung in Entrüstung umschlug.

„Du weißt, dass du wahrscheinlich niemals alles bekommen wirst, oder? Du weißt, dass du viel zu sehr an dieser Sexualität festhältst? Das ist nicht alles, worum es geht!“

Sie blieb locker. So sehr sie ihre Schmerzen auch zermürbten.

„Und doch ist es wichtig. Denk nur an all die Menschen, die mit ihrem Sexleben so unglaublich unzufrieden sind. Wirkt das gesund? Ist es nicht eine Tortur, nie zu bekommen, was man wirklich braucht?“

Er schwieg. Dabei sah Ella ihm an, dass er wohl wissend war, dass sie irgendwo recht hatte. Auch wenn es so verzichtbar zu sein schien, er selbst würde es auch nicht missen wollen zu Küssen und sich sanft zu berühren.

„Du wirst mit dieser Einstellung sehr wahrscheinlich alleine sterben. Das ist dir doch bewusst, oder?“, sprach er dann bitter.

Sie tat einen letzten Schritt nach hinten und hauchte: „Ich weiß und ich fürchte es. Ich jage Einhörner und es ist ermüdend und aussichtslos. Trotzdem zwingt das Bedürfnis mich dazu, nicht aufzugeben, solange noch Hoffnung besteht.“

Damit rannte sie fort. Hinein in die Sommernacht, die das Klicken schon lange verschluckt hatte.

© Lu Sahnig 2022-07-29