von MarieZa
Alles wird gut, ich darf nur nicht auf die Fugen zwischen den Pflastersteinen treten. Schön in die Mitte der Steine muss ich meinen Fuß setzen, mein Tempo halten und meinen Rhythmus. Nicht langsamer werden, aber auch nicht schneller, alles wird gut, es sind nur wenige Meter, die mir fehlen. Auf den ersten Blick wirken die Steine sauber. An Samstagen ist das nicht selbstverständlich. Nicht schneller werden, sonst geht sich das mit den Fugen nicht aus. Beinahe wäre ich auf eine getreten. Mehr Konzentration bitte. Das Pflaster kann auch total versaut sein, hier, mitten in der Stadt, an einem Samstagmorgen nach einer Partynacht mit hunderten Komasäufern, die ihr Bier verschütten und auf die Straße kotzen. Alles wird gut. Ich muss nur mein Tempo besser kontrollieren. Ich habe Durst – weil ich an Bier denke? Es ist nicht mehr weit, nicht schneller werden. Jetzt ist das Pflaster fleckig, wahrscheinlich Reste von Speiseeis. Die Eisdiele ist hier am Platz. Ich werde meine Schuhe in die Waschmaschine stecken heute. Aber ich bin noch nicht am Ziel. Kein Fehltritt jetzt bitte. Die Fugen scheinen enger zu liegen. Nein, ich bin schon wieder zu schnell. Die Pflastersteine sind alle gleich groß. Die vor dem Würstelstand übersät mit Fettflecken und Resten von Ketchup. Vergammelte Pommes liegen da und eine undefinierbare Flüssigkeit rinnt und klebt auf dem Boden. Alles wird gut. Sagt auch meine Therapeutin. Nur nicht den Fokus total auf die Sauberkeit richten. Und keine Orakel mehr, bitte. Widerlich, die Gerüche der Stadt, die vom Boden aufsteigen! Fettig, bierig, kotzig und schimmelig. Nicht auf die Fugen treten um Himmels willen. Die Schuhe kriege ich nie wieder sauber. Ich muss einer Pfütze ausweichen. Das war jetzt ein großer Schritt. Die Fugen dürfen nicht berührt werden. Es ist viel schmutziger als anfangs vermutet. Der erste Eindruck täuscht wie immer. Zigarettenkippen, gebrauchte Taschentücher, eine leere Aludose. Ekelig. Alles wird gut, nur nicht aufgeben, konzentriert die Fugen beachten. Fast wäre ich auf einen Kaugummi getreten, das fehlte noch. Klebriges mit nach Hause nehmen und nie wieder loswerden. Das darf doch nicht wahr sein, da fehlt ein Pflasterstein. Abgefuckte Stadt, ich werde mich beschweren. Pflastersteinslalom, ohne Chance zu gewinnen. Ein Kanaldeckel unterbricht meine Geometrie. Spießrutenlauf, fällt mir ein. Aber alles wird gut. Positiv denken ist die Lösung. Es macht Spaß, nicht auf die Fugen zu treten, und nicht in die Hundescheiße, die mir wie selbstverständlich auf dem nächsten Pflasterstein entgegenkommt. Im Ausweichen bin ich Meister.Ich versuche, mir den Duft von frischem Brot vorzustellen, aber die Hundescheiße ist stärker. Ich hätte auf einen Regentag warten sollen, oder noch besser, Schnee, ja Schnee, der alles zudeckt. Schnee ist meine Lieblingsfarbe. Da verschwinden sogar die Fugen zwischen den Pflastersteinen. Aber so lange kann ich nicht warten. Ist ja erst Mai.
© MarieZa 2021-05-28