Schneeflockentanz

Jasmin Katzer

von Jasmin Katzer

Story

Die ersten Sonnenstrahlen kitzeln in der Früh ihre nach Perfektion lechzenden Zacken. So schön und doch so eiskalt. Sie sind zusammen. Und sie überstrahlen alles um sie herum. Sie wirken so zerbrechlich, doch der Schein trügt. Hinter der schönen Fassade verstecken sich dunkle Geheimnis- se. Für immer unausgesprochen. Wie ein stummer Schrei, der die ohrenbetäubende Stille zu zerreißen droht. Sie sind eins. Doch da ist diese Distanz zwischen ihnen, die sie selbst nicht verstehen. Niemand schafft es, hinter die Kulissen zu blicken. Sie sind alle geblendet und dadurch blind. Das soll kein Vorwurf sein. Bloß eine Feststellung. Simpel und sachlich. Sie scheinen ständig umeinander zu tänzeln. Als würden sie nichts anderes kennen. Ihr ganz persönlicher Tanz des Todes. Es scheint ihr Schicksal zu sein. Besiegelt und unabänderbar. Aber ich kann nicht aufhören, das in Fra- ge zu stellen. Die intensive Anziehung, die von beiden ausgeht, ist elektrisierend. Sie zieht jeden in den Bann. Der metaphorische Neid um sie herum ist schon fast physisch spürbar. Doch Nichts kann sie stoppen. Jede negative Emotion sorgt für Schmerz, kompensiert durch Tränenflüssigkeit. Heiße Tränen, die aus den Toren der Seele austreten und augenblicklich gefrieren. Jede Träne macht sie größer. Stärker. Deshalb stellte sie nie etwas in Frage. Denn jeder Anflug von Schmerz war ein klei- ner Erfolg. Denn so ist sie. Sie macht es für sich aus und ist dankbar für jedes Wachstum. Doch er hat sie schon immer angezogen. Sie konnte es nie begreifen. Und irgendwann hat sie auch aufgehört, sich zu wehren. Sie hat jeglichen Widerstand aufgegeben. Und sie war stolz. Und so sieht man sie weiter tänzeln. Er sieht sie in all ihrer Pracht. Und sie sieht jeden seiner vollkommenen Zacken. So wie sie sich bewegen, scheinen sie perfekt aufeinander abgestimmt zu sein. Doch dem war nicht so. Sie beide waren die einzigen, die die Wahrheit jemals kennen sollten, was ihre Geschichte so irrelevant erscheinen lässt. Aber so waren sie, sind und sind sie und werden sie auch immer sein. Das einzig unvollkommene zwischen ihnen war diese unerklärliche Distanz, doch sie nahmen die Sache selbst in die Hand. Sie tänzelten und tänzelten die ganze Nacht. Alles, was die Sonnenstrahlen am nächs- ten Morgen offenbarten, war die einsame, kalte Pfütze ihrer Überreste. Sie hatten sich ineinander verloren. Sie waren nicht mehr Eins. Sie waren nichts mehr. Die Intensität ihrer Zuneigung zerstörte sie. Der jeweils andere und die persönliche Blindheit waren ihr persönlicher Untergang. Keine Trä- ne hätte dies verhindern können. Wir werden wohl nie wissen, ob es ihr persönliches Schicksal war oder nicht doch nur die Konsequenz ihrer naiven Ignoranz.

© Jasmin Katzer 2022-03-26

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