Leider sind meine Anstrengungen, meine aufsteigende Unsicherheit zu überspielen und möglichst gleichmütig zu wirken, nicht so erfolgreich, wie ich es mir wünsche. Frau Wüsten entgeht mein begehrlicher Blick auf ihre schneeweiße Wohnlandschaft aus teurem Leder keineswegs. Und sie quittiert ihn mit ebenso befriedigter wie amüsierter Miene. Mit einer Handbewegung dirigiert sie mich zur Couch, um mir gegenüber in einem der Ledersessel Platz zu nehmen. Vorsichtig lasse ich mich ins tiefe Polster sinken und halte unauffällig Ausschau nach dem Köter. Möglicherweise lauert das tückische Biest unterm Sofa, um mich vom sicheren Versteck aus noch einmal anzufallen. Die Unternehmerin fischt mit gezierter Geste ein silbernes Etui vom Glastisch. Mit einem leisen Klacken springt der Verschluss auf. Irritiert beobachte ich die betonte Lässigkeit, mit der ihre manikürte Hand dem Etui eine Zigarette entnimmt und sie in eine Zigarettenspitze mit silbernem Mundstück steckt. Frau Wüsten senkt das perfekt frisierte Haupt einem Tischfeuerzeug entgegen und führt die Zigarettenspitze fast andächtig an ihre Lippen. Nach dem ersten Zug bläst sie einen perfekten Rauchkringel in die Luft. Ich wage nicht, resigniert zu seufzen. Obwohl ich den Verdacht habe, dass sie dieses Ritual eigens für Zuschauer einstudiert hat. Und bei Bedarf vorführt. Warum sie allerdings glaubt, ich wäre für ihre Performance das richtige Publikum, ist mir unbegreiflich. Was nun, als Konversation getarnt, zwischen uns stattfindet, ist ein komplizierter Tanz aus schwierigen Schrittfolgen, die uns wer-weiß-wohin führen werden: Smalltalk, spitzfindige Fragen, Cha-Cha-Cha! Widerwillig überlasse ich ihr die Führung und fühle mich so ungeschickt wie bei einem Tanztee. Das schnelle Tempo und ihre unvermittelten 180-Grad-Drehungen treiben mir den Schweiß auf die Stirn. Ich schicke ein Stoßgebet zum Himmel, dass ihren Damensoli zumindest einfache Grundschritte vorausgehen. Damit ich mich sammeln kann. Denn falls ich den Beginn eines Solos wenigstens erahne, bleibt mir vielleicht genügend Zeit, meine verkrampfte Grundhaltung zu lockern. Außerdem beunruhigt mich der Gedanke, ich könnte ihr versehentlich auf ihre rot lackierten Zehen treten. Denn eines ist mir inzwischen sonnenklar: Frau Wüsten verlangt strikte Anpassung an den Rhythmus, den sie vorgibt. Tapfer absolviere ich meine Runden auf dem glatten Parkett, während ich mich bemühe, im Takt zu bleiben ohne dabei an Haltung zu verlieren. Die Hausherrin kreist derweil in egozentrischer Manier weiter um ihre eigene Achse. Während sie darauf zu warten scheint, dass ich allmählich mehr Bereitschaft an den Tag lege, meine Position als Satellit einzunehmen. Mein Entgegenkommen beschert mir schließlich eine willkommene Tanzpause plus einer Führung durch die illustren Räumlichkeiten. Bei diesem Rundgang stimmt es mich nachdenklich, dass allein ihr Badezimmer der Größe meines eigenen Wohnzimmers entspricht. Oder dass man für eine solche Wohnung stolze zweitausendfünfhundert Euro monatlich hinblättert. Vom Efeu umrankten Fenster des Turmzimmers aus, das ein Aufnahmestudio zu sein scheint, ist die Sicht über den Rhein noch grandioser, als ich annahm. Einen wundervollen Augenblick lang entschädigt sie mich für diesen anstrengenden Nachmittag, der sich viel komplizierter gestaltet, als ich mir die Suche nach einem Putzjob vorgestellt habe.
© Daya-Marisa Engel 2024-02-28