von Dominik_U
Alles, was du mir mitgebracht hast, war ein Schnittlauchblütenstrauß.
„Hier“, sagtest du langsam, „den hab‘ ich dir noch gepflückt.“
Verwundert, verhalten und verdutzt nahm ich ihn entgegen und während ich über den Strauß blickte, konnte ich dein Gesicht sehen. Du hattest sie mit einem Schnittlauch festgebunden, sodass die Blüten einen zartlilafarbenen Bausch bildeten. Meine Augen wanderten über die zierlichen Blüten: Jede einzelne schien von innen nach außen etwas heller zu werden, so, als ob sich die Farbe in der Mitte unerfolgreich verstecken wollte. Mit einem gewissen Crescendo wuchs meine Neugierde für dein Geschenk und so betrachtete ich es näher. Die Blütenblätter fühlten sich weich auf meinen Fingerspitzen an, sobald ich darüber streichelte. Manche Lauchstängel waren bereits etwas hölzern und hielten meinem Fingerspitzendrücken stand, ich wollte sie auch nicht brechen, bloß ihre Elastizität ausreizen. Erwartungsvoll starrtest du mich an, ehe aus dir herauskam: „Riech mal dran, sind scharf, aber haben eine dezente Süße.“ Du schobst den Strauß an meine Nase, ich schloss meine Augen, sodass ich den Duft klarer wahrnehmen konnte. Ein feines Knoblaucharoma drang in meine Nase und ich begann zu grinsen.
„Und nun, beiß hinein“, befahlst du mir. „Wie bitte?“ „Beiß hinein“, wiederholtest du. „Wieso soll ich die B…“, ich kam nicht weiter, denn schon führtest du mir den Strauß vor meinen Mund und fordertest mich auf: „Jetzt mach schon!“ Langsam öffnete ich meinen Mund und ließ die Blüten näherkommen. So manche Blüte kitzelte meine Lippen, meine Zungenspitze und meinen Gaumen. Ich begann, den Mund zu schließen und konnte ein leises Knacken hören, das von den sich biegenden Blüten kam. Eine knisternde Schärfe legte sich über meine gesamte Zunge und bereitete mir buckellängs eine britzelnde Gänsehaut. Gleichzeitig konnte ich das leise Schhht beim Blütenzusammenbeißen hören, ehe es leiser wurde und mit meinem Schlucken verschwand.
„Noch einen Bissen, los!“ Die Säure breitete sich in meinem ganzen Rachenraum aus. Nahezu unbeachtet schlich sich die fast flimsige Süße hinzu, die jäh von der Schärfe überdeckt wurde. „Du musst noch den Rest der Blüten essen!“ Ich hinterfragte nichts mehr, setzte die Hand um und biss die letzten Blüten von meinem Strauß ab. Eifrig kaute ich daran, denn ich wusste, du würdest mir die Antwort auf dein Geschenk nun geben.
Während ich den abgebissenen Schnittlauchbund in meiner rechten Hand hielt, tratst du an mich heran. Du hobst deine linke Hand und legtest sie an mein Ohr. Dein Mund näherte sich meinem Kopf und ich konnte hören, dass du tief Luft holtest. Flüsternd entwichen dir die Worte, die mich zurück in Gegenwart holten: „Wir stürzen ab.“
© Dominik_U 2021-06-14