von Merle Hamann
Herzi? Hatte er mich gerade ‚Herzi‘ genannt? Ich schaute den älteren Herren perplex an. Dieser lächelte mich nur voller Liebe und Wärme an. „Aus dir ist eine hübsche, junge Dame geworden. Peter ist bestimmt stolz auf dich, von Petra ganz zu schweigen.“ Peter? Petra? Woher kannte er meine Eltern? Moment … das Gesicht … das Lächeln. Jetzt erinnere ich mich, ich hatte bei Papa mal Bilder von ihm gesehen, war er dann etwas … ? Wie ein Blitz traf mich die Erkenntnis. Sprachlos blickte ich ihn an, Tränen schossen mir in die Augen. „Opa Heinz?!“, hauchte ich völlig überwältigt. Sein Blick wurde weich, sein Lächeln noch wärmer. Auch ihm stieg das Wasser in die Augen. „Hallo, meine Kleine. Endlich lernen wir uns mal persönlich kennen.“ Ich konnte nicht anders, als ihm schluchzend in die Arme zu fallen. Beruhigend tätschelte er mir den Kopf. „Ist schon gut, jetzt bin ich ja da.“
Opa Heinz hatte ich nie kennengelernt. Er war mein Großvater väterlicherseits und starb noch vor meiner Geburt an Krebs. Meine Mama hatte ihn immer als einen sehr lieben Mann mit einem trockenen, aber lustigen Humor beschrieben, der gut mit jedem konnte, vor allem mit Kindern. Mein Papa hatte seinen Tod nie ganz verarbeitet. Ich erfuhr nur hier und da ein paar Geschichten über ihn und wie er war, außer an einem Abend, wo ich bei ihm übernachtete und mir alte Bilder anschaute aus seiner Kindheit und von Opa Heinz. Dieser hatte auch einen anderen Sohn, Onkel Michi. Jedoch erfuhr dieser erst von seinem leiblichen Vater und seinem Halbbruder, meinem Papa, als er heiraten wollte und die Geburtsurkunde vorlegen musste. Alle drei Männer verstanden einander auf Anhieb und bis heute sind er und mein Vater eng in Kontakt. Aber das ist eine andere Geschichte.
„Aber wie … ?“, begann ich, mittlerweile liefen die Tränen nur so. „Ist das denn wichtig? Nennen wir es einfach ein Café der himmlischen Begegnungen“, lächelte er zart. „Ich hab mich so oft gefragt, wie es wohl gewesen wäre, wenn ich dich kennengelernt hätte und jetzt sitzt du auf einmal vor mir“, schniefte ich glücklich. Opa Heinz lachte heiter auf. „Und? Erfüll ich deine Erwartungen?“ Ich grinste und wischte mir die Wangen trocken. „Bei weitem!“ Beide schauten wir einander für einen Moment lang schweigend an. Bereits jetzt herrschte eine enge Vertrautheit zwischen uns. „Ich wünschte, wir hätten das schon viel früher machen können“, brach ich schließlich die Stille. „Ich hab so viele Fragen und so vieles, das ich sagen möchte, aber ich weiß überhaupt nicht, wo ich anfange soll!“ Opa Heinz schmunzelte liebevoll. „Ich weiß und es tut mir leid, dass du im Leben nie die Chance dazu hattest. Aber sei dir gewiss, dass ich dich immer geliebt habe und da war, um über dich zu wachen und jeden Schritt in deinem Leben mitzuverfolgen. Auch wenn du mich nicht sehen konntest. Du hattest es oft nicht leicht, aber hast dich immer wieder aufgerappelt und bist das liebe Mädchen geblieben, auf dass wir alle voller Stolz von oben herabblicken. Immerhin bist du Opas, kleines, großes, starkes Mädchen, nech? Du weißt gar nicht, wie stolz wir auf dich sind, mein Herzi! So unheimlich stolz!“ Wieder kullerten mir die Tränen die Wangen runter. Wie sehr hatte ich mir gewünscht, diese Worte einmal von einen meiner Opas zu hören. Wie sehr gebraucht.
© Merle Hamann 2023-09-04