Schöne Bescherung

Sonja M. Winkler

von Sonja M. Winkler

Story

1965 bekam ich vom Christkind zwei Fremdwörter als Weihnachtsgeschenk. Eines hieß „Quarantäne“, das andere „desinfizieren“.

Ich ging in die 1. Klasse Gymnasium. Als ich im Dezember plötzlich fieberte, kam der Hausarzt. Ich streckte die Zunge heraus. Die roten Flecken am Körper waren verdächtig. Ich müsste in Quarantäne, sagte er. Mein um vier Jahre jüngerer Bruder, den alle Kinderkrankheiten gewöhnlich in einer stärkeren Ausprägung als mich erwischten, blieb sonderbarerweise von Scharlach verschont. Mir jedoch wurde Isolation verordnet. Im Spital. Das war damals üblich.

Quarantäne. Obwohl die Aussprache mit [kv] im Österreichischen Wörterbuch als zulässige Variante angeführt wird, hat sich seit einem Tweet Armin Wolfs im Februar 2020 das anlautende [k] bei allen Moderator*innen durchgesetzt. Gott sei Dank dauert die Isolierung nicht 40 Tage, was eigentlich dem Wortsinn entspräche, leitet sich doch Quarantäne von italienisch quaranta (40) ab. Angeblich soll der griechische Arzt Hippokrates der Meinung gewesen sein, dass die meisten Krankheiten nach 40 Tagen ihren Höhepunkt überschritten hätten und die Symptome abgeklungen seien.

Meine Quarantäne habe ich als recht kurzweilig in Erinnerung. Was sich als Segen entpuppte, war die Flucht von aneinandergrenzenden Krankenzimmern, deren Längsseiten aus Glas waren. Aufgeweckt, wie ich war, hatte ich bald mittels Fingeralphabet, das damals fast alle Gleichaltrigen beherrschten, mit einem Buben und einem Mädchen, denen fad war so wie mir, Kontakt aufgenommen und Personalien ausgetauscht. Wir schnitten Grimassen, machten Schabernack und vertrieben uns die Zeit mit dem Entschlüsseln der Finger-Botschaften.

In die Zeit des Spitalsaufenthaltes fallen auch meine ersten poetischen Gehversuche. Ich dichtete holprige Vierzeiler, paarweise gereimt, in denen ich den einen oder anderen jungen Arzt anhimmelte, der mir zugezwinkert oder mich angelächelt hatte. Auch entwickelte ich damals ein feines Gespür für verstohlene Blicke, die zwischen Krankenschwester und Arzt hin und her schossen.

Am Heiligen Abend gab’s eine Art Bescherung. Ich bekam das Buch „Pu der Bär“ und ein Kuscheltier, aber keines der Geschenke durfte ich mit nach Hause nehmen. Man müsse sie desinfizieren, hörte ich und dachte insgeheim, wenn sie’s eh wissen, warum tun sie’s denn nicht?

Meine Mutter half mir, den versäumten Stoff nachzuholen. Wir lasen gemeinsam „Ann and Pat“, aber ihre Lücken in Englisch waren groß. Den Einservorteil konnte sie mir erklären, aber nicht, wie man die Kommastellen beim Dividieren mit Dezimalzahlen verschiebt. Ich schrieb das Versäumte nach und büffelte.

Am ersten Schultag hatten wir Mathematik. Da ging die Angst um. Eine Schülerin nach der anderen wurde aufgerufen und musste kopfrechnen. Ein Tausendstel dividiert durch ein Zehntel. Setzen! Das muss schneller gehen, sagte Professor Berger. Wie schön war doch die Quarantäne!

© Sonja M. Winkler 2020-12-02

Hashtags