von Andrea Stix
Gehören auch Sie zu den Personen, die sich vor dem Alter fürchten, weil sie meinen dann nicht mehr attraktiv genug zu sein? Kostet es Sie manches Mal Überwindung Ihr Geburtsdatum zu nennen, weil Sie zweifeln, ob Sie noch in die Gruppe „schön & schick“ passen?
Kein Wunder, denn wir werden ständig von Idealbildern überschwemmt und erfahren sehr früh, dass attraktive Menschen mehr Chancen im Leben bekommen. Kaum aus dem Gröbsten raus werden jene Kinder als herzig und lieb bezeichnet, wenn sie schöne Locken haben und feine Gesichtszüge aufweisen. Und das setzt sich dann sowohl in privater als auch beruflicher Hinsicht fort.
Dicke Kinder, das habe ich am eigenen Leib erfahren, haben weniger Freunde und werden oft von Kameraden sogar verspottet. Wer annähernd eine Modelfigur aufweist erhält eher einen Job, egal ob Frau oder Mann. Je weniger Selbstbewusstsein jemand hat, desto mehr kreisen die Gedanken um das Thema Schönheit. Und so hat sich eine riesige Industrie entwickelt, die eine Vielzahl von Produkten anpreist mit dem Versprechen, schöner, jünger, schlanker zu werden. In der Zwischenzeit sparen viele Menschen sogar auf eine Schönheitsoperation, um ihrem Idealbild näher zu kommen.
In den Mittelpunkt gerückt wird dieses Thema spätestens in der Pubertät. Auch ich war in dieser Lebensphase sehr experimentierfreudig. Mein karges Taschengeld wurde in Kosmetikprodukte investiert. Doch gute Produkte sind teuer, also hielt ich Ausschau nach günstigen Alternativen. Und so probierte ich die Hefe aus. Mit Milch zu einem dicken Brei gerührt, habe ich eine billige Gesichtsmaske entdeckt. Mitesser wurden dadurch ausgetrocknet und ein feiner Teint entstand. Die andere Hälfte der Hefe habe ich hinuntergewürgt. Dadurch wollte ich bewirken, dass sich der Magen füllt und ich weniger sonstige Nahrung zu mir nehme. Wer das schon mal probiert hat, der wird wissen, dass man diese Rosskur nicht lange durchhält. Immerhin habe ich ein paar Kilos verloren.
Und wer glaubt, dass sich dieser „Schönheitswahn“ im Alter von selbst erledigt, der wird aufgrund meiner Erlebnisse von Menschen mit Demenz eines Besseren belehrt 1):
Ab und zu bringe ich meinen Besuchen kleine Aufmerksamkeiten mit. So habe ich einmal der 93jährigen Frau A. eine kleine Schachtel Konfekt gebracht. Sie erklärte mir, dass ich diese gleich wieder mitnehmen kann: „Ich esse keine Schokolade. Auch dann nicht, wenn ich einen Gusto darauf habe. Ich muss auf meine Figur achten und will nicht zunehmen.“
Geburtstage sind gerade für Menschen, die in Pflegeheimen leben, eine willkommene Abwechslung. Wir erinnern uns gemeinsam, zünden eine Kerze an und singen entsprechende Lieder. „Ah das ist für die schädliche Ernährung“ sagt eine 85jährige Klientin, als sie ihr Geburtstags-Päckchen öffnet. Darin enthalten sind kleine Schokolade-Täfelchen.
® Andrea Stix
1) Anmerkung der Autorin: wahre Begebenheit, Name und Ort wurden aus Datenschutzgründen geändert
© Andrea Stix 2020-05-04