Schotter

Sophishbooks

von Sophishbooks

Story
Palästina 2023 – 2024

Heute

Komm, Adil.“ Ich greife nach seiner Hand und ziehe ihn auf die Beine. „Wir müssen weiter.“ Er steht auf und sieht mich an. „Ich bin müde, Hana“. „Es ist nicht mehr weit“, sage ich. Doch die Wahrheit ist, ich weiß es nicht. Wir laufen weiter. Ich beobachte Adil, dessen Hand noch immer meine hält. In der anderen Hand hält er Rami, sein Stofftier. Das ehemals weiße Fell ist jetzt gräulich verfärbt. Doch ich bin froh, dass Adil es noch hat. Er liebt das zottelige Ding und würde es vermutlich mit seinem Leben beschützen, so wie ich ihn. Plötzlich rollen Reifen neben uns über die kaputte Straße, ein quietschendes Geräusch und eine Bremse. Ein Auto bleibt direkt neben uns stehen. Ich ziehe an Adils Hand, aber er rührt sich nicht. „Hana, ein Auto. Ich will nicht mehr laufen.“ Ich seufze. Es ist ein weißer Transporter mit einem roten Streifen. Eine Tür springt auf und ein Mann steigt aus. Er trägt eine rote Jacke. Eine rote Jacke ist gut, glaube ich zumindest. Ich halte Adils Hand noch ein wenig fester und sehe mich um. Vor und hinter uns ist nichts als grauer Asphalt. Ich lasse es zu, dass der Mann uns mit in sein Auto nimmt. Er redet beruhigend auf uns ein. Ich habe Adil auf meinen Schoß genommen und drücke ihn an mich. Der Mann schlägt vor, ihn mir abzunehmen, doch ich schüttle heftig mit dem Kopf. „Nein.“ Ich halte Adil noch ein wenig fester als der Mann in der roten Jacke sich neben uns setzt, und sein Kollege Gas gibt. Der Wagen ruckelt über die unebene Straße und mein Sitz schaukelt hin und her. Immer wieder überkommen mich Zweifel in einen fremden Wagen gestiegen zu sein. Doch das vertraute Symbol auf dem Armaturenbrett beruhigt mich ein wenig. Ein Aufkleber zeigt einen roten Halbmond auf weißem Hintergrund, umrahmt von einem roten Kreis. Ich kenne dieses Logo.

Mit 6 Jahren

Ich nehme die Fernbedienung und schalte den Fernseher aus. „Was machst du da? Ich möchte Nachrichten schauen“, sagt mein Vater, während er die Hand nach der Fernbedienung ausstreckt. „Ich will das nicht sehen. Krieg ist doof“, antworte ich und halte die Fernbedienung hinter meinem Rücken versteckt. Mein Vater seufzt tief. „Ja“, sagt er, „Krieg ist etwas Fürchterliches, und es sind immer die Unschuldigen, die leiden. „Wenn Krieg ist, haben die Leute Hunger, oder?“, frage ich mit großen, fragenden Augen. „Ja“, bestätigt er, „dann gibt es nur wenig zu essen. Auch Wasser wird knapp, weil die ganze Versorgung zusammenbricht. Ich sehe ihn an und auch wenn ich nicht genau weiß, was „Versorgung“ bedeutet, verstehe ich, dass es etwas sehr Wichtiges ist. „Baba, wer hilft den Leuten dann?“ „Es gibt Hilfsorganisationen“, erklärt mein Vater und schaltet den Fernseher wieder ein. Er stoppt das Bild und zeigt mir eine Szene, in der ein Mann von hinten zu sehen ist. Er trägt eine rote Jacke mit einem Symbol darauf: ein roter Halbmond auf weißem Hintergrund. „Das ist der Rote Halbmond. Sie helfen in Krisenzeiten.“

© Sophishbooks 2024-08-14

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Herausfordernd, Emotional, Reflektierend, Angespannt, Hopeful
Hashtags