Schreckmomente

Anna Geier

von Anna Geier

Story

Heute ist es passiert. Manchmal ist eine Trennung unumgänglich. Wahrscheinlich, weil ich so oft und so lange beim Computer sitze. Das ist doch die einzige Verbindung zur Restwelt, zu dem was da draußen sich tut und wir meinen, dass es Realität geworden ist.

Gerade jetzt, kaum munter, meinen Tee schlürfend, suchend nach Neuigkeiten, nach Lustigem, nach einem neuen Tag, da krachte es so gewaltig, dass ich vor dir und vor mir erschrak. Den Schrei, den ich absetzte, hörten nur du und ich. Ich hing da in einer Schreckstarre. Nein, ich brauchte keinen Arzt, es ist mir nichts passiert, nur mein gemütlicher, krachender, ohnehin schon angeschlagener, in die Jahre gekommener Bürohengst, hat auf eine Ende plädiert.

Mühsam stand ich auf, mein Teehäferl verkrampft haltend, sah ich meinen ramponierten Marc o‘ Polo an. Ich versuchte zu retten, was zu retten wäre, versuchte ihn gerade zu richten. Erste Hilfe für meinen wichtigen Gefährten, ein Handgriff, er scheint aufgerichtet zu sein, ein lauter Knacks und ein böses Wort von mir an ihn: “ Du kannst mich doch jetzt nicht auch noch in Stich lassen, ich brauche dich! Deine sichere, feste Anlehnmöglichkeit, deine bequeme Unterlage , deine repräsentative Optik hat mich immer überzeugt. Was mache ich bloß ohne dich?“

Der nächste Versuch, es doch noch einmal miteinander zu versuchen, scheiterte kläglich. Da ich in meiner Verzweiflung ihn nicht um eine Einverständniserklärung gebeten hatte und mich ohne Zustimmung auf ihn setzte, zwecks Nahetest, musste ich sofort die Ignoranz seinerseits spüren. Es krachte noch heftiger, in Folge hing ich noch schiefer da, fast gefährlich nahe am Boden gelandet, wurde mir schlagartig klar, da hat einer von uns beiden wirklich aufgegeben.

Er, mein Chef hat mich endgültig verlassen und ich bin nicht schuld, das kann ich bestätigen. Wie soll ich jetzt ohne dich weiterleben? In Zeiten wie diesen brauche ich Stabilität, die du mir nicht mehr gibst. Kriminelle Energien spürte ich in mir hochkriechen. Andere haben ihr funktionierendes, passendes Stück in Verwendung, nur ich muss jetzt ohne ihn auskommen.

Nicht einmal kaufen kann ich mit Geld das, was mir jetzt fehlt. Mein Drang dich sofort zu ersetzen, ließen mich fast verzweifeln, denn mir wurde augenblicklich klar, so schnell öffnen die Geschäfte nicht. Es scheitert zur Zeit an der Möglichkeit ein Ersatzstück zu ergattern, es käuflich zu erwerben.

Es blieb wirklich nur mehr der letzte Ausweg übrig, einen zu entwenden. Was mache ich ohne einen Home-Office- Chef? Mein Drang war so stark, das lädierte Stück mir sofort zu besorgen. Mit einem Griff in das Zimmer meines Sohnes, der ohnehin nicht mehr bei mir wohnt, schnappte ich mir seinen Bürosessel und schmiss den alten, ausgedienten Sessel hinaus.

© Anna Geier 2020-03-23