von Rebecca Gulba
Nur noch ein paar Schritte.
Jeder der vielen kleinen Steine auf diesem Weg drückte sich durch meine abgenutzten, dünnen Plastiksohlen hindurch. Die einst weißen Schuhe hatten nun eher die Farbe der Pfützen angenommen, in die ich das ein- oder andere Mal versehentlich hineingetreten war. Meine Beine schmerzten und meine Füße brannten – jede weitere Bewegung vorwärts ließ meinen ohnehin schon müden Körper weiter erschöpfen.
Ich war ausgezehrt. Jeder Schweißtropfen, der mit vom Rücken hinunter in meinen Hosenbund tropfte, ließ mich daran zweifeln, ob dieser Ausflug eine gute Idee war. Doch ich wollte nicht aufgeben. Ich hatte so viel hinter mir gelassen – meine Familie, Freunde, meinen Mann – und das harte, eingelegene, verhasste Krankenbett, in dem ich so viel Zeit verbracht hatte, ohne die Hoffnung, auch nur irgendwann einmal eine Reise wie diese antreten zu dürfen.
Ich wollte, ich durfte, nicht schlappmachen.
Dort hinten konnte ich doch schon den Aufgang zu meinem Ziel sehen. Eine Steintreppe, deren Stufen durch die jahrzehnte – vielleicht sogar jahrhundertelange Nutzung in der Mitte tiefe Kuhlen aufwiesen, während die Seiten der Stufen dicht mit grünem Moos bewachsen waren. Ich war erschöpft, aber aufgeben, das hatte ich noch nie getan. Nicht als Kind, nicht vor drei Jahren und auch nicht jetzt.
Doch als ich gerade vor der mystisch anmutenden Steintreppe stand und die erste Stufe nehmen wollte, blieb ich stehen. Ich hielt inne und sah, wie weit es noch war. Wie viele Stufen ich noch gehen sollte, wie hoch und unerreichbar mein Vorhaben auf einmal schien. Meine schweren Beine zitterten, meine schmerzenden Füße verloren fast den Halt. Ich spürte, wie mein Kopf immer wärmer wurde und wie meine Haare vom Schweiß schon ganz nass waren. Ich versuchte zu atmen, doch jeder Atemzug fühlte sich an wie das schmerzhafte Herunterwürgen eines zu großen Schluckes viel zu heißen Kakaos. Meine Narben begannen zu schmerzen. Vielleicht wollten sie mir sagen, dass ich und meine Lunge einfach noch nicht bereit waren. Vielleicht sollte ich Schluss machen, zurückgehen.
„Miau“
Das sanfte Geräusch einer Katze riss mich aus meinen zweifelnden Gedanken. Sie saß dort, ganz oben am Ende der Treppe und sah mir direkt in die Augen.
„Miau!“, jetzt klang ihr Maunzen fast schon auffordernd; vielleicht sogar verhöhnend.
Die Katze fauchte, drehte sich um und ging sanften Schrittes davon. Meine Narben zogen – sie wollten mir nicht sagen, dass ich aufhören sollte. Ich sollte es wagen.
Und das tat ich. Schritt für Schritt. Last für Last. Keuchend, taumelnd, siegend.
Denn ich schaffte es. Ich erklomm die letzte Stufe. Und hinter den strahlend blauen Büschen der Hortensien begrüßte mich das tobende Meer.
Und ich schrie – vor Glück, vor Erfolg, vor Willen. Ich hatte es geschafft. Allein. Mit meinen eigenen Beinen, meiner eigenen Kraft, meiner neu-atmenden Lunge. Das Glück, es lief mir den Nacken entlang, lähmte mich fast.
„Miau.“
Die Katze, da war sie wieder und setzte sich direkt neben mich.
Und die Wellen trugen unseren gemeinsamen Jubel bis in die Ferne.
© Rebecca Gulba 2023-08-10