Schreiben – vom Gedanken zum Text

Ulrike Nikolai

von Ulrike Nikolai

Story

Wie gern hĂ€tte ich ein GedankenaufzeichnungsgerĂ€t. Habe ich doch!? Nein, habe ich nicht! Ein DiktiergerĂ€t ist leider kein GedankenaufzeichnungsgerĂ€t. Da ich die Gedanken erst aussprechen muss, um sie festzuhalten, verlieren sie bereits ihren spontanen Charakter. Ich hĂ€tte gern ein GerĂ€t, das meine Gedanken in dem Moment aufzeichnet, in dem sie entstehen. Dazu natĂŒrlich auch all die tiefen Untertöne, die in entfernteren Schichten des Bewusstseins meinen Gedanken eine bestimmte FĂ€rbung geben. GefĂŒhle, die ich damit verbinde, Erinnerungen, Stimmungen, durch die sie hervorgerufen werden, Bilder, die sich bei ihrer sprachlichen Ausformulierung hinter meinen Augen malen. Wie interessant wĂ€re es, tatsĂ€chlich all diese Komponenten im Moment des Entstehens aufzeichnen und anschließend betrachten zu können. – Es geht nicht. Noch nicht? Hat die Menschheit nicht die genialsten Erfindungen gemacht, um Optisches und Akustisches mit technischen GerĂ€ten aufzuzeichnen? Wieso sollten wir nicht auch Gedankenrekorder erfinden, die sich in ihrer AufzeichnungsqualitĂ€t immer mehr verbessern? Wenn ich mir heute Videofilme ansehe, die wir mit einer Super-8-Kamera in den 70er-Jahren gemacht haben, waren die Ergebnisse zu jener Zeit das Tollste, was man nach dem Urlaub mit Spannung erwartete. Das Erlebte noch einmal in Bewegung sehen zu können, die GerĂ€usche hören zu können – was fĂŒr eine Lust! Und heute? Ich mag mir diese Filme ĂŒberhaupt nicht mehr anschauen. Haben wir damals wirklich so unscharf gesehen? Oder können unsere technisch verfeinerten AbspielgerĂ€te lediglich das Format von damals nicht mehr ĂŒbersetzen?

ZurĂŒck zu meiner Idee 
 dem Gedankenrekorder 


mein DiktiergerĂ€t, dessen ich mich gar nicht mal so selten bediene, wenn mir spontan Ideen kommen, nimmt meinem Gedankenfluss, meinem Gedankenmeer bereits die hohe Beweglichkeit. Als noch weniger flexibel empfinde ich es, wenn ich die aufgezeichneten und nachgehörten Gedanken niederschreibe. In dem Moment geschieht allerdings eine neue Form von Belebung, denn ich schreibe nicht wörtlich auf, was ich höre, sondern stelle um, lasse weg, fĂŒge hinzu. Außerdem gebe ich dem spontan gedachten Gedankenchaos eine Struktur. Neue Gedanken verĂ€ndern die QualitĂ€t des Chaos‘, das sich in meinem Gehirn abspielte und beim Schreiben eine Temporeduzierung erfuhr, das das Ordnen erst möglich machte. Diese neuen Gedanken können das Gedachte fortfĂŒhren oder vertiefen. Das können eigene Gedanken sein, es können Gedanken anderer Menschen sein, denen man einen Denkimpuls geliefert hat. Auf diese Art vernetzen sich unser aller Gedankenwelten.

Wenn ich morgens halbwach bin 


kommen mir oft so viele noch nie gedachte und interessante Gedanken, dass ich mir wĂŒnsche, ich hĂ€tte einen Gedankenrekorder, damit nichts verlorengeht.

Wo sind sie – die TĂŒftler, die Genies, die fĂŒr uns SchreibsĂŒchtige ein solches GerĂ€t erfinden? Bitte, bitte 
 macht Euch an die Arbeit!

© Ulrike Nikolai 2022-05-11

Genres
Romane & ErzÀhlungen
Stimmung
Informativ, Inspirierend, Reflektierend
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