von NeleChryselius
Wir waren jung, wir hatten vier Wochen Zeit für eine Sommerreise. Zwei Frauen, blond, blauäugig, reiselustig. Wir entschieden uns für Griechenland und starteten mit Rucksack und Flugticket, um die Kykladen zu erkunden. Unser erstes Reiseziel war Naxos.
Am späten Nachmittag nahmen wir in Piräus die Fähre und erreichten kurz vor Mitternacht den Hafen von Naxos. Auf dem Weg in die Stadt kamen wir an einer Parkanlage vorbei. Wir staunten über das riesige Nachtlager der Backpackers, das die Wiese fast vollständig einnahm. “Ihr sucht ein Zimmer? Absolut aussichtslos! Ich penn` schon seit Tagen hier”, meinte Klaus aus Hamburg.
Für heute war es sowieso zu spät, also suchten wir uns einen Schlafplatz und fanden es ganz lustig – unbehelligt von der Polizei – gemeinsam mit vielen anderen unter freiem Himmel zu übernachten.
Am nächsten Morgen saßen wir auf den Stufen einer Kirche und überlegten, wie wir die Zimmersuche angehen wollten. Ein Mann sprach uns an. Ob wir Deutsche seien, wollte er wissen. Er freute sich, als wir das bejahten. Wir verstanden das entscheidende Wort “domatio”, sprangen freudig auf und standen wenige Minuten später in seinem Wohnzimmer. Fassungslos starrten wir auf das Foto, das über dem Sofa hing. Ein Porträt von Adolf Hitler. Der Mann sah unser Entsetzen und reagierte mit einem ekelhaften Lachen. Nichts wie weg hier! Dann lieber noch eine Nacht im Park oder am Strand oder sonst wo. Mit einem entschiedenen “Ochi” (nein) verließen wir fluchtartig sein Haus. Das Hohn-Gelächter des Alt-Nazis schallte uns hinterher.
Nachdem wir uns von dem Schock erholt hatten, klapperten wir die Häuser mit den Schildern “Rooms to let” ab – alles belegt. Und nun?
“Wir fahren mit dem Bus in ein abgeschiedenes Dorf und versuchen es dort”, schlug Petra vor. Auf dem Weg zum Busbahnhof grüßte uns eine sehr kleine, sehr alte Frau so strahlend, dass wir einen letzten Versuch wagten. “Domatio?”, fragte ich hoffnungsvoll. Statt einer Antwort wiegte sie nachdenklich den Kopf und gab uns zu verstehen, mitzukommen.
Wir betraten ein kleines Haus, das aus zwei Zimmern bestand, Küche und dahinter das Schlafzimmer mit Doppelbett. Sie deutete auf das Bett und auf uns. Wir waren überglücklich und nahmen ihr Angebot dankbar an.
Und nun auf zur Inselerkundung!
Als wir abends zurückkehrten, führte sie uns ins Schlafzimmer, wünschte “kalinychta” (gute Nacht) und schloss die Tür hinter sich. Aus der Küche hörten wir kurz ein leises Knarzen, dann war es ruhig. Als wir am nächsten Morgen die Tür öffneten, stand die Frau am Herd und kochte Kaffee. Hinter ihr stand eine Kommode, die mittlere Schublade war geöffnet, über der Lade hing Bettzeug.
Ungläubig schauten wir sie an. Sie lachte und bestätigte, dass diese Schublade tatsächlich ihr Nachtlager gewesen war.
© NeleChryselius 2021-01-21