Schulgeschichten: Einfach ehrlich!

Tiptop95

von Tiptop95

Story

Es war ein erstes Eintauchen in die RealitÀt eines jungen Lehrerlebens zu Beginn der 80-ger-Jahre.

Vor ungefĂ€hr vier Jahrzehnten, ich hatte soeben mein erstes Unterrichtsjahr als Deutschlehrer in einer ersten Klasse der damaligen Hauptschule begonnen, als eine ErlebniserzĂ€hlung als Schularbeit anstand. Noch geprĂ€gt von der vielfach theoretischen Ausbildung an der Akademie stand ich noch in freudiger Erwartung von humorvollen, traurigen, spannenden, jedenfalls erlebnisreichen Geschichten aus der Feder eines zehnjĂ€hrigen SchĂŒlers. Ja, damals zĂ€hlte das Aufsatzschreiben noch zum alleinigen Maßstab einer guten Schularbeit! Also mĂŒssten wir heute eigentlich eine Vielzahl von Erfolgsautoren im Alter um die fĂŒnfzig haben und stolz auf unsere ehemaligen SchĂŒler sein können.

Nach Absprache mit der damals im Alter von 32 Jahren in meinen Augen erfolgreichen und erfahrenen Deutschkollegin prĂ€sentierte ich den aufgeregten SchĂŒleraugen drei Themen zur Auswahl:

Als ich einmal große Angst hatte!

Eine freudige Überraschung!

Ein Erlebnis mit einem Tier!

Nach einigen erklĂ€renden Worten und abwartenden Minuten des Nachdenkens ging ich zwischen die Bankreihen durch, um einen Blick auf die entstehenden Werke der SchĂŒler zu werfen. Einige wenige schrieben munter darauf los, manche kĂ€mpften sich durch die ersten Zeilen. Ein SchĂŒler starrte jedoch abwechselnd auf die drei Überschriften und dann wieder angestrengt nach oben seine Löcher in die Luft. Nach ungefĂ€hr zwanzig Minuten, die SchĂŒler sollten ja nach einer Unterrichtsstunde die Hefte abgeben, wurde ich langsam nervös, nervöser als der betreffende, nachdenkende SchĂŒler.

“Na, Herbert, wann hast du dich denn einmal richtig gefĂŒrchtet?” – “Nie , Herr Lehrer.“

“Hast du vielleicht einmal ein ganz ĂŒberraschendes Geschenk bekommen?”, KopfschĂŒtteln des SchĂŒlers.

“Aber mit einem Tier, einem Haustier, da gibt es sicher was zu erzĂ€hlen!”, lautete mein letzter Versuch, die vielleicht verborgenen Schreibtalente meines SchĂŒlers zu erwecken.

“Nein, mir fĂ€llt nichts ein ”, so die vermutlich ehrliche Antwort des Buben.

So geschah es, dass ich am Ende der Stunde ein Heft bekam, in dem außer der drei Themen kein Wort stand! Nichts zum Korrigieren, nichts zum Beurteilen! Aber vielleicht, einfach ehrlich! Den Begriff der “Dichterischen Wahrheit” hatte ich den SchĂŒlern damals noch nicht erklĂ€rt. Ob’s was geholfen hĂ€tte ?

FĂŒr mich kam aber so sehr rasch die Erkenntnis, dass das Schreiben von Geschichten einfach nicht jedermanns Sache ist. Das Leben allein schreibt die Geschichte jedes Menschen, mit all seinen Talenten, Freuden, Erlebnissen und Sorgen!

© Tiptop95 2021-03-20