von Nini Tsiklauri
Es knistert. Der kleine rostige Eisenheizofen im Schlafzimmer wird langsam warm. Es ist noch dunkel draußen, aber ich höre den Hahn schon kräftig krähen. Ich weiß, ich muss nun aufstehen. Langsam steige ich vom knirschenden Metallbett runter und gehe zum Fenster. Draußen ist es nebelig und kalt. Durch die Eisblumen sehe ich wie Oma draußen ihr Gesicht verzieht. Sie kommt vom kleinen Küchenhaus, mit Frühstück in den Händen, rüber.
Es gibt georgischen Tee und Honigbutterbrot. „Immer gestärkt in den Tag gehen. Honig wird dir viel Kraft geben“, sagt sie und zündet mit einem Streichholz den Docht der Petroleumlampe an. Strom und fließendes Wasser gibt es hier kaum, wie viele andere Sachen zum Leben. Vor einem Jahr in Budapest war es anders. Ich weiß, dass es eine andere Welt da draußen gibt, aber mit der Zeit hier in ‚Patara Etseri‘ verblasst die Erinnerung und der Glaube daran. Ich mampfe das Brot und schaue sie mit großen Augen an. Nana, die fleißigste Frau der Welt. Disziplin wird bei ihr ganz groß geschrieben, deswegen habe ich schon am Vorabend alle meine Schulsachen ordentlich bereit gelegt. Ich ziehe mich um, nehme meine Schultasche und mache mich auf den unendlichen Weg zur Schule.
Die Straße ist durchgehend löchrig wie der beste Käse meiner Oma. Der klapprige, orangene Omnibus aus der UdSSR braucht ewig lange, wenn er überhaupt fährt und nicht beim Nachbar repariert wird. Heute ist wieder so ein Tag, also gehe ich zu Fuß. Eine Stunde lang durch Eiseskälte. Manchmal zähle ich dabei die Schlaglöcher auf der Straße, im Frühling und Herbst füllen sie sich mit Regenwasser. Der ganze Weg wird dann überschwemmt und wenn man nicht aufpasst, kann man dort übel reinfallen. Nun sind sie aber zugefroren und glitzern im kalten Morgenlicht. Es ist ziemlich rutschig. Den Weg kenne ich schon auswendig, aber trotzdem entdecke ich jeden Tag etwas Neues. Zuerst gehe ich durch eine kleine Siedlung, dann folgen die hohen Nadelbäume, bei denen es immer so gut riecht, dann gehe ich an einem Waldstück vorbei, wo ich mal auf Wildschweine traf, dann wieder durch eine kleine Siedlung, eine lange Straße im flachen Nirgendwo und wenn ich dann wieder Nadelbäume sehe, bin ich fast bei der Schule. So wie jetzt.
Die Schule ist groß und schon sehr alt. Meine Mama ist hier früher auch mal hingegangen. Von außen war sie mal weiß, von innen bis zur Hälfte hellblau gestrichen. Heizung und Sanitäranlagen? Nicht in dieser Welt. Die anderen Mädchen tragen große weiße Rüschchen in den Haaren und dunkle Kleider. Ich schaue runter auf meine Hose. Der Holzboden knarrt laut, während die Kinder in die Klassen reinlaufen und sich steif, aufrecht mit den Händen auf dem Tisch, hinsetzen. Die Lehrerin kommt herein, während die Schüler streng zur Tafel schauen. „Tsiklauri, was ist denn das?“, fragt sie plötzlich. Nun schauen alle zu mir. Ich stehe auf. „Hosen sind nichts für Mädchen. Hosen tragen Jungs! Nun geh nach Hause, zieh dir einen Rock an und lass dich erst dann wieder hier sehen.“
© Nini Tsiklauri 2019-09-09