von Tim Schreiber
Es war zu Beginn der zehnten Klasse, als ich den Wunsch formulierte, nach diesem Jahr auf dem Gymnasium aufzuhören und eine Lehre zu beginnen. Mein Vater war damit überhaupt nicht einverstanden. Wenn man die Chance hat, Abitur zu machen, dann soll man das auch. Schließlich hatte er damals diese Chance nicht. Trotzdem ging ich zur Berufsberatung und ließ mir meine Möglichkeiten aufzeigen. Nach drei Stunden intensiver Beratung wurde mir nahegelegt in den sozialen Bereich zu gehen. Ich wiederholte meinen Wunsch nach einer Ausbildung, worauf mir vorgeschlagen wurde, Erzieher zu werden, was damals noch mit Realschulabschluss möglich gewesen wäre. Damals wollte ich alles Mögliche werden, Hauptsache kein Erzieher. Ernüchtert ging ich nach Hause und beschloss auf der Schule zu bleiben und mein Abitur zu machen. Ich glaube, mein Vater verbuchte meinen Rückzieher als seinen Verdienst.
Zum Ende der zehnten Klasse kam der nächste herbe Schlag. Unsere Klasse sollte aufgelöst werden und im folgenden Schuljahr auf die anderen drei Klassen verteilt werden. Die letzten vier Jahre auf dieser Schule waren für mich furchtbar gewesen, aber nur, wenn ich auf die anderen Klassen traf. Ich hatte lange Haare und war ein alternativ gekleideter Kelly-Fan. Da ich wie ein Mädchen aussah, nannten mich die anderen Klassen nur liebevoll „Gisela“, was ich jahrelang niemanden erzählte, weil es mich so sehr verletzte. Ich fasste mir ein Herz, nahm all meinen Mut zusammen und vertraute mich dem damaligen Konrektor an. Ich erzählte ihm alles, was nicht mal meine Mutter wusste. Dass die eine Klasse, mit der wir Sport zusammen hatten, der Grund war, warum ich dort kaum noch hinging. Regelmäßig wurde ich Opfer ihrer derben Späße und sobald ich mich wehrte wurde ich vom Lehrer ermahnt. Die zweite potenzielle Klasse war der Grund, wieso ich im Winter nur unter Zwang auf den Schulhof ging. Und die letzte mögliche Klasse sorgte fast täglich dafür, dass ich lieber zügig nach Hause ging, bevor sie sich mit ihren Freunden der benachbarten Gesamtschule zusammenfanden. Das alles erzählte ich dem Konrektor, inklusive meiner Bitte, die Schule wechseln zu dürfen. „Du weißt, dass du an der neuen Schule die gleiche faule Sau sein wirst? Du wechselst doch nur, um deine Noten zu retten.“ Das war ein verbaler Schlag ins Gesicht. Mit Erlaubnis meiner Mutter durfte ich doch noch die Schule wechseln und ich rechne ihr bis heute hoch an, dass sie es machte, ohne meine Motivation zu kennen.
Schulmüde und gebrandmarkt durch die Erlebnisse auf der alten Schule wurde ziemlich schnell deutlich, dass ich die elfte Klasse wiederholen würde. Nun wurde ich auch noch sehenden Auges zu einem Sitzenbleiber. Für meinen Vater war das furchtbar. Neben der negativen Außenwirkung würde ich ihm noch „ein weiteres Jahr auf der Tasche liegen“. Für mich war es befreiend, aufschlussreich und ein großer Zuwachs an Erfahrung. An dieser Schule habe ich dann sogar mein Abitur gemacht und bin dann später doch Erzieher geworden.
Happy End.
© Tim Schreiber 2025-01-21